Cut
sagen.
Es war nicht das erste Mal. Wenn sie das Gefühl hatte, sie musste weg, dann ging sie einfach nach Hause und schlief. Am nächsten Tag saß sie dann wie immer am Frühstückstisch, hörte sich mit einem amüsierten Lächeln seine Beschwerde an und sagte Dinge wie: »Aber, Nick! Du siehst süß aus, wenn du dir Sorgen um mich machst.«
Diesmal würde er ihr nicht wie ein Trottel hinterherlaufen. Vielleicht hatte er nur diese eine Chance, den Sound-Künstler aus Bombay kennen zu lernen.
»Gehen wir?«, fragte er den Inder, der gerade die Verschlüsse einer großen Metallkiste zuschnappen ließ.
Der DJ hob den Kopf und lächelte ihn an. »Klar gehen wir. Wie heißt du übrigens?«
»Nick«, sagte Nick.
Beim Aussteigen aus dem Taxi fühlen sich deine Beine immer noch ein bisschen zittrig an, vom Rennen und von der Angst. Hoffentlich taucht Nick bald auf!
Du wühlst in deiner Jackentasche, dann in der anderen. Hosentasche. Plötzlich fällt es dir wieder ein. Nick hat hinter dir abgeschlossen, damals, vor einer Ewigkeit, als ihr losgegangen seid zum Asian Community Center. Du suchst nach der Klingel, aber da hängt nur ein Schild.
»Kein Nachtportier. Bitte benutzen Sie von 22 bis 7 Uhr Ihre Schlüssel.«
Für einen Moment überlegst du ernsthaft, die Scheibe einzuschlagen. Nur um in dein Bett zu kriechen und dir die Decke über den Kopf zu ziehen. Aber hinter dir steht das Taxi immer noch am Straßenrand. Warum eigentlich? Kann der nicht mal wegfahren?
Okay, tief durchatmen. Du kannst jetzt nicht ins Bett. Nick ist nicht da und der Schlüssel auch nicht. Du bist weggerannt, hast dich kurz verlaufen und bist nach vielleicht zwanzig Minuten wieder am Club gewesen. Alles war dunkel und die Tür abgeschlossen. Kein Nick. Du hast überlegt, was er tun würde. Klar, er würde am Hotel auf dich warten. Aber dann wäre er längst hier.
»Kling-Klang. Frau Junghans, Ihre Antwort war leider falsch. Damit sinkt Ihr Punktekonto jetzt gefährlich gegen null.«
Gut, also nicht am Hotel. Natürlich nicht! Nick sucht bestimmt in der Nähe des Clubs nach dir. Schnell drehst du dich wieder um und läufst die Stufen runter zu dem Taxi. Als du näher kommst, siehst du, warum es sich nicht von der Stelle bewegt. Der Fahrer ist in eine telefonische Seifenoper vertieft. Leise öffnest du die Tür und lässt dich auf die lederne Rückbank sinken. Deine Ohren zeichnen weiter das Gespräch auf, wie den Fernsehton nachts, wenn kurz vor dem Einschlafen noch eine gute Folge aus der ersten Staffel von Ally McBeal kommt.
»Ich hab dir schon hundertmal gesagt, ich will kein verdammtes Kind! Ich muss dieses verdammte Taxi fahren, um meinen nächsten Film zu finanzieren! Soll ich da vielleicht auch noch ein Kind mit mir rumschleppen?« Er lacht bitter. Aus dem Telefon hörst du eine undeutliche Stimme schreien. Er lässt sie nicht ausreden. »Klar! Kein Problem! Dann such dir doch einen andern. Fuck you!« Er knallt sein Handy in die Ladestation und haut mit der Faust aufs Lenkrad. Vorsichtig tippst du ihm auf die Schulter. Er fährt herum. Ungefähr dein Alter. Scharf geschnittenes Gesicht. Sieht gut aus, registriert dein Gehirn.
»Verdammt, warum jagen Sie mir so einen Schrecken ein! Was wollen Sie denn noch?«
Erst als du sprichst, merkst du, dass auch deine Stimme zittert. »Hab noch was vergessen. Fahren Sie mich bitte zurück zum Club«, murmelst du.
Er brummt vor sich hin und knallt den Gang rein. Dann dreht er das Radio auf.
Kurz treffen sich eure Blicke im Rückspiegel. Du hättest ihn gern gefragt, warum er keine Kinder will. Aber er fragt dich ja auch nicht, warum du mitten in der Nacht in einem Taxi hin- und herfährst. Stattdessen gleitet ihr schweigend durch den Londoner Nieselregen, und im Radio dudelt REM.
32 Tabla
»Selbst hier feiern die ihre Hochzeiten, als wären sie im tiefsten Uttar Pradesh.« Cal warf einen finsteren Blick zu dem großen Tisch in der Ecke des Restaurants, von dem aus sich eine fröhliche Menschenmenge auf den ganzen Raum ausbreitete. Ein Ensemble aus Tabla, Sitar, Tempura und einem schmachtenden Sänger spielte alte Klassiker.
Samir lachte. »Die indischen Restaurants hier sind die Einzigen, die so spät noch auf haben.«
»DJ Cal. Woher kommt der Name?« Nick, der Deutsche, schien sich jedenfalls zu amüsieren.
»I tell you a story.« Cal begann einen eigenen Tabla-Rhythmus auf die Tischplatte zu trommeln. »Mein richtiger Name existiert nicht mehr. Ich bin nur noch Cal. Einer von
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