Cut
fummeln an Nicks Minidisc-Recorder herum. Eigentlich müsstest du doch erleichtert sein! Du fühlst, wie dir Tränen in die Augen steigen.
Da stehst du und guckst durch die blöde Scheibe. Auf keinen Fall wirst du hier eine Szene abziehen! Aber so stehen bleiben kannst du auch nicht, bis Nick irgendwann rauskommt. Du drehst dich um. Am besten, du reihst dich einfach in den lockeren Strom von Menschen ein, die jetzt zur U-Bahn laufen. Lass dich mitziehen, stell dir vor, du würdest zur Arbeit fahren, vielleicht in einer Bibliothek oder bei der Post, irgendwo, wo du eine nette ordnende Tätigkeit verrichten musst, ohne viel nachzudenken.
In der Nähe schlägt eine Kirchturmuhr. Du zählst mit. Den Schlüssel brauchst du jetzt sowieso nicht mehr.
Nick fühlte sich leicht, obwohl ein unterschwelliger Kopfschmerz ankündigte, was seine Strafe für zu viel Whisky sein würde. Er konnte sich nicht mehr genau an den Straßennamen erinnern und war von der U-Bahnstation auf gut Glück durch Camden gelaufen. Als er um die nächste Ecke bog, sah er Mattie aus dem Zeitungsladen neben dem Eingang zu ihrem Hotel kommen. Erleichtert torkelte er auf sie zu.
»Huhu. Mattie! Wo warst du denn?«
Mattie zuckte zusammen und fuhr herum. Sie sagte nichts. Nur dieser Blick.
»Dachte, du bist sicher schon im Hotel, ich war nur noch kurz was essen mit Cal und den anderen Jungs.« Erstaunt lauschte er dem begeisterten Klang seiner eigenen Stimme.
Wortlos zog Mattie den Schlüssel aus seiner Tasche.
»Oh, tut mir Leid.« Weiter fiel ihm nichts ein. Sie begann demonstrativ in ihrer Zeitung zu blättern. »Ey, Mattie, komm schon. Cal ist einfach genial, er will mir Tapes schicken und ich ihm, und wer weiß, vielleicht können wir mal …« Er redete gegen eine stumme Wand aus Papier an.
Plötzlich ließ Mattie die Zeitung sinken und hielt sie ihm hin. Sie sagte immer noch nichts. Er brauchte eine Weile, bevor seine müden Augen die Schlagzeile entziffern konnten.
Der bekannte Bürgerrechtler und Journalist Mehmet Khan erlag gestern den Folgen eines schweren Unfalls. Und kleiner, darunter: Passanten wollen ein Tatfahrzeug mit ausländischem Kennzeichen gesehen haben. Die Polizei schließt einen gezielten Anschlag aus der Neonazi-Szene nicht aus, Khan hinterlässt Frau und Tochter.
Nick starrte Mattie an, als würde das Gelesene dadurch plötzlich einen Sinn ergeben. »Neonazis? Ich versteh gar nichts.«
Ungeduldig riss ihm Mattie die Zeitung aus der Hand. »Stimmt. Gar nichts verstehst du. Die glauben, er wurde absichtlich überfahren!« Sie sah ihn an, als würde sie ihn am liebsten schütteln. »Die Typen gestern im Club, das waren auch – und ich dachte, dir wäre was passiert! Ich hab die ganze Nacht auf dich gewartet!«
»Ich hab den ganzen Club nach dir abgesucht!«, protestierte Nick. Er sah, dass sie zitterte, und wollte sie in den Arm nehmen, aber sie stieß ihn weg.
»Und dann hast du dich super amüsiert. Du musst wirklich besorgt um mich gewesen sein!« Sie schubste ihn noch mal, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte. »Erst halst du mir so eine Scheiß-Wette auf und jetzt bist du schon wieder ganz woanders! Für dich ist doch alles nur Spaß, easy going!«
Nick spürte, wie die Wut in ihm hochstieg. »Und du? Du psychologisierst doch nur rum, ob du deinen Vater überhaupt finden willst! Das klingt immer alles so verdammt ernsthaft, aber wenn es wirklich ans Machen geht, kriegst du Schiss. Wenn du wirklich gewollt hättest, hättest du ja um das Kino kämpfen können. Aber so sind immer die anderen schuld!«
Er schnappte nach Luft. Ihm war schwindelig vor Müdigkeit. Seine euphorische Stimmung hatte schließlich dem bohrenden Kopfschmerz das Feld überlassen. Während er noch dastand und Mattie ansah, dämmerte ihm, dass er gegen die Regeln verstoßen hatte. Wenn er sich nur nicht so schwach gefühlt hätte! Nick biss sich auf die Unterlippe.
»Du hast Recht«, sagte Mattie leise. »Ich habe die Sache angefangen, und jetzt sollte ich auch mal etwas zu Ende bringen. Wenn nicht mit dir, dann eben ohne dich!« Ihre Augen sagten noch etwas. »Verräter!«, nannten sie ihn.
Nick fasste sich an den Kopf. Was war nur los mit ihm?
34 Schlaf
Ludwig Hauser tastete nach dem Sessel und ließ sich einfach fallen. Mit einem Seufzer gaben die Sprungfedern unter dem grünen Samt nach. Er war zu Hause, aber er erinnerte sich nur noch bruchstückhaft, wie er hierher gekommen war. Sein Kopf fühlte sich an wie in Watte
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