Cut
folgte er dem Mann, so schnell es mit der Kamera ging. Vor einer Bäckerei begrüßte sein Objekt eine junge Frau in einer Art Hosenkleid mit einem kleinen Mädchen an der Hand.
Nick mitsamt seiner Kamera ging direkt auf die Familie los. »Kennen Sie einen Arzt namens Doktor Anand Kumar?«, fragte er höflich. Das kleine Mädchen zeigte mit dem Finger auf ihn und fing fürchterlich an zu schreien. Er spürte, wie ihn eine Hand am Gürtel packte und auf die andere Straßenseite zog.
»Nick, du bist peinlich!« Da war schon wieder Matties Gesicht im Bild. »Du führst dich auf wie ein Tourist in Disneyland, der nach Donald Duck fragt.«
Nick zoomte auf ein Straßenschild mit nicht-englischer Beschriftung. »Wusstest du noch nicht, dass das das Konzept des neuen Millenniums ist?«, spottete er und zeigte auf einen Touristenbus aus den Niederlanden, der langsam vorbeifuhr. »Wir ersetzen einfach die künstlichen Themenparks durch die Ghettoisierung in den Städten. Bennetton bezahlt die Müllabfuhr und ein paar Parkplätze und schon geht’s los. Mittags nach Chinatown und abends nach Little India. Hauptsache jeder bleibt, wo er hingehört. Hallo, Sir, entschuldigen Sie bitte!«
Er winkte einem alten Mann mit einer Kochmütze, der aus einem der Restaurants kam, und folgte ihm in eine kleine Seitenstraße. Der Mann hob abwehrend die Hand. Nick nahm die Kamera unauffällig unter den Arm, blieb aber dran und wiederholte seine Frage.
»Ich spreche nicht englisch«, knurrte der Mann und verschwand in einem Hauseingang.
»Nick!«
Er ignorierte Matties Stimme und lief weiter um die nächste Ecke. Es war jetzt fast dunkel. Die Kamera hatte automatisch ihre Shutterfunktion aktiviert. Fasziniert von dem verfremdeten Sucherbild vor dem rechten Auge, das linke geschlossen, merkte er erst viel zu spät, dass er mitten in eine Gruppe Jugendlicher gelaufen war, die um eine Tischtennisplatte herumhingen.
»Was willst du hier, weißer Mann?«, fragte ein Mädchen und kam auf ihn zu. Sie trug T-Shirt und Trainingshose und bewegte sich so, wie er es von den Kung-Fu-Meistern in seinen Jet-Li-Videos kannte.
»Nicht schlagen, bitte.« Er fühlte, wie Matties Hand schon wieder an seinem Gürtel zugange war. »Wir suchen jemanden. Einen indischen Arzt. Doktor Anand Kumar.«
Zu seiner Überraschung fing das Mädchen an zu kichern. »Er sucht einen Inder.« Sie drehte sich um. Einige der anderen fingen ebenfalls an zu lachen. »Mann, ihr seid hier in Bangla Town. Bang-la-desh. Schon mal von gehört? Die Inder hängen drüben in Southall und Wembley ab.« Sie warf einen abschätzenden Blick an der Kamera vorbei, wo wahrscheinlich Mattie stand. »Suchst wohl deine Leute, was?«, fragte sie ein bisschen freundlicher.
»Na ja«, hörte er hinter sich Matties Stimme.
’ »Okay, wo wir heute Nacht hingehen, da gibt’s jede Menge Inder«, sagte das Mädchen. »Könnt ja mitkommen.«
Plötzlich ertönte ein Pfiff. In einer Welle aus Licht lösten sich die abstrakten Figuren vor seinem Auge auf und verschwanden. Sofort sprintete er los und rannte ihnen hinterher. Er fühlte sich wie in einem Videospiel.
»Nikolaus Ostrowski!«
Matties Gesicht sah auch toll aus. Hinter ihr ragte ein dunkles Gebäude auf. Davor konnte er schemenhaft eine große Ansammlung von Menschen erkennen, die unruhig herumwuselten.
Mattie keuchte. »Ich glaube, das ist ein Club da vorne. Glaubst du im Ernst, dass der ehrenwerte Doktor Kumar in einer Disco herumspringt?«
Er schüttelte den Kopf. Das Bild wackelte.
»Können wir dann mal langsam zu noch mehr Whisky übergehen?«
Er nickte. Bunte Streifen zogen sich über Matties Gesicht.
»Dann mach jetzt endlich die Kamera aus!«
29 Loop
Cal musste zugeben, dass er sich getäuscht hatte. Am Tag hatte der Laden so schäbig und grau ausgesehen wie alles, was er bisher von London gesehen hatte. Nach dem Soundcheck hatte Cookie Samir, ihn und die anderen Jungs in ein kleines Hinterzimmer geschoben, wo sie in alten Sesseln herumhingen, Dope rauchten und MTV guckten. Cal war eingeschlafen. Als er aufwachte, war er allein. Von draußen hämmerten Bässe in seinen schmerzenden Kopf. Vorsichtig schob er die Tür auf und stand plötzlich in einer anderen Welt.
Bahnen aus dünnem Stoff, von irgendwoher in bunten Farben angestrahlt, unterteilten den oberen Raum in verschiedene Bereiche, in denen Leute auf Kissen an niedrigen Tischchen saßen oder halb übereinander lagen. Auf den Tischen standen kleine leuchtende
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