Cut
Die Melodie war immer die gleiche, doch die kleine Margaret wurde ihrer nie überdrüssig.
Sie saß vor ihrem Puppenhaus und summte leise. Das Puppenhaus hatte sie sich vom Weihnachtsmann gewünscht. Es hatte zwei Etagen und konnte wie ein Koffer aufgeklappt werden, sodass Maggie die winzigen Möbel umherschieben und mit der kleinen Familie spielen konnte.
La la, la la.
Oha. Die kleine Maggie runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht in ihrem Haus.
Sie griff hinein und nahm die kleine Vaterpuppe aus dem Schlafzimmer.
Das war es
. Daddy sollte in ihrem Zimmer sein. Nicht bei Mami. Dann schnippte sie Mami von dem kleinen Ehebett. Die Puppe fiel zu Boden.
Noch besser
.
La la, la la.
Sie erinnerte sich an diesen Moment vor ihrem Puppenhaus genauso deutlich, wie sie sich an den Geruch ihres Vaters erinnerte, wenn er nachts zu ihr kam. Er roch nach Schlaf und Rasierwasser. Sie betrachtete das Bild auf ihrem Schreibtisch, das sie in den Armen ihres Vaters zeigte. Als das Fotoaufgenommen wurde, war sie fünf Jahre alt gewesen. Er hatte ständig zu tun gehabt. Hatte keine Zeit für die Familie oder für Maggie gehabt, außer in der Nacht, wenn er sie sanft berührte und küsste. Er sagte ihr, dass es Liebe wäre, und ihr Körper hatte sich ihm hingegeben, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
So hatte Maggie die Liebe kennengelernt, in ihrem kleinen, stickigen Zimmer mit einer Palme vor dem offenen Fenster und dem weiten Himmel Floridas als einzigem Zeugen.
Noch heute sehnte sie sich nach den Berührungen ihres Vaters. Aber sie konnte sie nicht mehr haben. Manchmal berührte sie sich selbst und stellte sich ihn dabei vor. Dafür liebte und hasste sie ihn zugleich. Doch noch mehr hasste sie diejenigen, die ihn ihr weggenommen hatten.
La la, la la …
40
D as Schild hinter der Windschutzscheibe wies mich als Kurier aus. Auf diese Weise gab es keine Probleme mit dem Parkhauswächter, und ich konnte in der Haltebucht für Lieferanten direkt gegenüber vom Suntrust Plaza stehen bleiben. In meinem Neon war ich praktisch unsichtbar.
Wir beobachteten sie seit drei Tagen, immer abwechselnd, neben unseren Tagesjobs und auf Kosten unseres Privatlebens, denn wir alle waren auch so oft wie möglich im Krankenhaus. Dass Weihnachten kurz bevorstand, war unvorstellbar. Es fiel mir schon schwer, Zeit für Rauser zu finden und den Anschein von Normalität für White Trash aufrechtzuerhalten. Rausers Kinder hatten fast täglich angerufen, aber da sie hier nichts tun konnten, waren weder sie noch seine Exfrau erneut gekommen. Neil hatte beschlossen, seinen Boykott der Büroarbeit zu beenden, und strengte sich richtig an. Er tat sein Bestes, um mir den Rücken frei zu halten, bis ich mich wieder vollständig auf meine Detektei konzentrieren konnte. Diane unterstützte ihn dabei und war, so hatte er mir berichtet, eine große Hilfe für unser Büro.
Nachdem ich vor drei Tagen Margarets Büro mit weichen Knien verlassen hatte, hatte ich Diane angerufen und ihr von dem Gespräch erzählt. Ich hatte ihr die Bestürzung und Angst anhören können. Sie würde nie wieder zu Guzman, Smith, Aldridge und Haze zurückkehren können, jedenfalls nicht, solangeMargaret auf freiem Fuß war. Abgesehen davon, dass es für sie natürlich ein Schock war, vom Doppelleben ihrer bewunderten Chefin zu erfahren, war Diane nun auch noch arbeitslos. Ich hatte ihr ein Angebot gemacht, das nicht annähernd an ihr Gehalt von Haze heranreichte. Aber immerhin konnte sie mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass ihre neue Arbeitgeberin sie nicht erstechen würde. Diane und ich sprachen jeden Abend miteinander. Wenn sie es nicht schaffte, ins Krankenhaus zu kommen, erkundigte sie sich nach Rausers Zustand. Sie wollte wissen, welche Informationen wir durch unsere Überwachung über Margaret gewonnen hatten. Immer fragte sie, wie es mir gehe und ob ich, abgesehen von Donuts, etwas gegessen habe, während ich im Wagen vor dem Suntrust Plaza saß. Und häufig war sie in meine Wohnung gegangen und hatte sich um White Trash gekümmert.
Als Margaret Haze durch die Drehtür auf die Peachtree Center Avenue trat, beschleunigte sich mein Puls. Sie überquerte die Straße und kam in das Parkhaus, wo ich mit einer blauen Kappe der
Braves
in meinem schäbigen Neon in der Nähe ihres Mercedes wartete. Ich rutschte meinen Sitz hinunter. Im Rückspiegel sah ich sie mit einem Aktenkoffer vorbeistolzieren. Die Absätze ihrer Siebenhundert-Dollar-Pumps klackerten auf dem
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