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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Zellularautomat – ein mathematisches Modell, dessen Regeln unterschiedslos auf jede einzelne seiner Komponenten angewendet wurden: Das waren die »Naturgesetze« dieser Welt. Hier gab es nicht die schwindelerregenden Gleichungen der Quantenmechanik – nur eine Handvoll trivialer arithmetischer Operationen auf der Basis ganzer Zahlen. Und doch gelang es, mit so unerhört simplen Gesetzen »Atome« und »Moleküle« zu schaffen, deren »Chemie« vielfältig genug war, um »Leben« zu ermöglichen.
    Maria verfolgte den Weg einer Gruppe goldgelber Zellen durch das Raumgitter. Nicht die Zellen bewegten sich – das war definitionsgemäß nicht möglich –, sondern das Farbschema. Es wurde von Zelle zu Zelle weitergegeben, infizierte eine ganze Region stahlblauer Zellen, zwang ihnen die eigene Farbe auf – nur um kurz darauf einer von hinten heranbrandenden Welle von Karminrot zum Opfer zu fallen.
    Wenn es so etwas überhaupt geben konnte, dann war das hier ein unverstellter Blick ins Autoversum. Immer noch ein Falschfarbenbild – die willkürlich zugeordneten Farben dienten nur als Code für den Zustand der Zellen –, doch ließ dieses Bild wenigstens das komplizierte dreidimensionale Schachspiel erahnen, das alle höheren Strukturen überhaupt erst ermöglichte.
    Alle Strukturen bis auf die Hardware natürlich, den Computer selbst.
    Maria hatte eben auf die Standardzeit des Autoversums zurückgeschaltet und den Maßstab der Darstellung verkleinert, um sich wieder ihren einundzwanzig Petrischalen zu widmen, als im Vordergrund eine Nachricht eingeblendet wurde:
     
    SNV bedauert mitteilen zu müssen, daß die von Ihnen benötigte Rechenleistung einem höherbietenden Benutzer zugeteilt wurde. Ein Speicherauszug Ihrer Berechnungen wurde im Massenspeicher abgelegt und steht bei Ihrem nächsten Zugriff zur Verfügung. Wir bedanken uns für Ihr Vertrauen.
     
    Eine halbe Minute saß Maria nur da und fluchte vor sich hin, dann schwieg sie abrupt und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie hätte erst gar nicht damit anfangen sollen! Es war verrückt, ihre Ersparnisse für das Herumspielen mit mutierten A. lamberti zu verschleudern – und doch konnte sie nicht damit aufhören. Das Autoversum war so verführerisch, unwiderstehlich … ja, süchtig machend.
    Wer immer sich mit Brachialgewalt ihrer Rechenzeit bemächtigt hatte – er hatte ihr einen Gefallen getan; sogar ihre fünfzig Dollar bekam sie zurück, denn wenn man nicht bloß mit reduzierter Rechenleistung abgespeist und zum Schneckentempo gebremst, sondern komplett hinausgeworfen wurde, dann wurde die Benutzergebühr rückerstattet.
    Neugierig, die Identität ihres unfreiwilligen Wohltäters zu erfahren, stellte sie eine direkte Verbindung zur BIPS-Börse her – dem Markt, der mit Rechenleistung handelte. Hier war automatisch auch ihre Verbindung mit SNV hergestellt worden. Ihr Terminal war darauf programmiert, automatisch den durchschnittlichen Marktpreis bis zu einem festgelegten Betrag zu bieten. Gerade war ein Käufer – irgendeine Organisation mit dem Namen »Projekt Schmetterling« – aufgetreten, der diesen Betrag pro BIPS – eine Billiarde Instruktionen pro Sekunde – um das Sechshundertfache überboten und es geschafft hatte, einhundert Prozent der frei gehandelten Rechenkapazität des Planeten an sich zu bringen.
    Maria war sprachlos. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Das Kreisdiagramm, das die aktuelle Verteilung der Rechenleistung auf die verschiedenen erfolgreichen Bieter anzeigte, setzte sich normalerweise aus Tausenden nadeldünner Keile zusammen – ein flackerndes, kaum mit dem Auge zu verfolgendes Kaleidoskop: Nun gab es nur noch eine blaue, unveränderliche Scheibe. Zwar würden deshalb keine Flugzeuge abstürzen, die Weltwirtschaft würde nicht zum Stillstand kommen … aber da waren jene Zehntausende von Wissenschaftlern an den Universitäten und in der Industrie, die über das SNV alle die Arbeiten erledigten, die die Kapazität ihres Hausrechners überstiegen, ohne daß sich deshalb die Anschaffung einer eigenen Hardware lohnte. Und was war mit den Kopien, immerhin auch ein paar tausend? Daß sich ein einzelner Benutzer so sehr in den Vordergrund drängte und alle anderen überbot, war noch nie dagewesen. Wer in aller Welt brauchte so viel Rechenleistung? Ein großer Konzern, ein wissenschaftliches Großprojekt, das Militär? Sie alle besaßen ihre eigene Hardware – oft ein paar Nummern größer als nötig. Wenn sie überhaupt an

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