Cyber City
um dieselbe Energiemenge zu gewinnen, war für das Bakterium auf Dauer nicht durchzuhalten. Um langfristig zu überleben, mußte A. lamberti einen Weg finden, wie es das unverdauliche Molekül zurückweisen konnte, bevor es Energie darauf verschwendete – oder, noch besser, wie sich Mutose in Nutrose zurückverwandeln ließ, um aus dem Gift verwertbare Nahrung herzustellen.
Maria rief ein Histogramm auf – eine Übersicht aller Mutationen der drei Nutrose-Epimerase-Gene des Bakteriums.
Der genetische Code der Enzyme in diesem Gen war so ziemlich das einzige Werkzeug, das A. lamberti an der Hand hatte, um die Mutose verdaulich zu machen, auch wenn das Enzym in seiner jetzigen Form dazu nicht in der Lage war. Keine der Mutationen hatte bisher länger als ein paar Generationen Bestand gehabt, und sie hatten ausnahmslos mehr Schaden als Nutzen gebracht. Ein kleines Fenster zeigte die Sequenzen der mutierten Gene – sie rollten zu schnell über den Schirm, um einzelne Tripletts unterscheiden zu können, aber immer noch zu langsam für Maria. Wenn sie schon nicht wußte, wonach sie suchte, wohin die Reise gehen mußte (woher auch?) … dann wenigstens so schnell wie möglich ins Labyrinth aller möglichen Irrtümer.
Ein hübscher Gedanke. Das Dumme war nur, daß bestimmte Gensequenzen für Fehler beim Kopieren besonders anfällig waren, so daß die meisten Mutanten zielsicher immer in dieselbe Sackgasse führten.
Dafür zu sorgen, daß A. lamberti mutierte, war nicht schwer; wie ein reales Bakterium machte es häufig Fehler, wenn es sein Analogon einer DNA vor der Teilung replizierte. Es zu sinnvoller Mutation anzuregen war etwas anderes. Max Lambert höchstpersönlich – der Mann, der das Autoversum erfunden hatte – hatte sich daran die Zähne ausgebissen. Der Schöpfer von A. lamberti – Idol einer ganzen Generation von Anhängern zellularer Automaten und künstlichen Lebens – hatte die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens fast ausschließlich diesem einen Problem gewidmet: warum die kleinen, aber feinen Unterschiede in der Biochemie von Autoversum und wirklicher Welt etwas so Allgegenwärtiges wie die natürliche Auslese unter den Lebewesen unmöglich machten. Unter dem Einfluß von Streß, den etwa Escherischia coli in kürzester Frist zu seinem Vorteil genutzt hätte, zog Stamm um Stamm von A. lamberti es vor, still und leise abzusterben.
Einige unerschütterliche Enthusiasten versuchten noch immer, das Werk Lamberts zu vollenden. Maria kannte die Namen von zweiundsiebzig Leuten, denen man nicht erst hätte erklären müssen, was eine Lösung dieses Problems bedeutete. Auf dem Gebiet des künstlichen Lebens dominierten heutzutage jene, die sich mit Kopien beschäftigten – Wesen, die wie aus Flicken zusammengesetzt waren, jedes einzelne ein Mosaik aus zehntausend verschiedenen Ad-hoc- Regeln … genau das Gegenteil dessen, wofür das Autoversum stand.
Die Biochemie der wirklichen Welt war zu kompliziert, um sie auch nur für ein Lebewesen von der Größe eines Insekts bis ins Detail simulieren zu können – von einem Menschen ganz zu schweigen. Natürlich konnte man jeden einzelnen Vorgang des lebenden Organismus im Computer modellieren – aber nicht gleichzeitig für alle Stadien vom Atom bis zum kompletten Körper. So hatten sich drei verschiedene Forschungsrichtungen ergeben: Die einen – traditionelle Molekularbiologen – saßen noch immer über ihren Schrödinger-Gleichungen, die sie in mühseliger Arbeit auf immer größere Systeme anwendeten, so genau oder ungenau es eben ging; irgendwann, hofften sie, würde man bei vollständigen replizierenden DNA-Strängen angelangen, bei Teilstrukturen von Mitochondrien, größeren Abschnitten der Zellmembranen, jenem Palisadenzaun aus Protein und Lipidmolekülen … Und stetig wuchs der Rechenaufwand, verdoppelte sich beim kleinsten Schritt, den man vorankam.
In der umgekehrten Richtung verlief die Erforschung der Kopien: aufwendiger, mit viel Raffinesse simulierter menschlicher Körper – ursprünglich dazu gedacht, Chirurgen das Üben und ein besseres Planen ihrer Operationen zu ermöglichen oder bei der Erprobung von Medikamenten Tierexperimente überflüssig zu machen. Eine Kopie war nicht viel mehr als ein hochaufgelöster computertomographischer Scan, den man zum »Leben« erweckt hatte und der – gekoppelt mit einer physiologisch-biochemischen Datenbank – jeden Vorgang im Gewebe und den Organen simulieren konnte … der noch dazu in einer
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