Cyber City
den Falschen geraten: Mir droht keine Gefahr, abgeschaltet zu werden. Die Hardware, die wir beide in diesem Augenblick benutzen, ist nicht gemietet – sie gehört voll und ganz einer Stiftung, die ich kurz vor meinem Tod gegründet habe. Mein Vermögen wird zu meiner vollsten Zufriedenheit verwaltet, Probleme gibt es nicht, um die Sie sich kümmern könnten – ob finanziell, juristisch oder meinen Seelenfrieden betreffend. Das letzte, was ich brauche, ist eine billige, schäbige Kapitalanlage für die nächsten paar tausend Jahre … Ihr Angebot interessiert mich nicht.«
Paul Durham zog es vor, seine Enttäuschung für sich zu behalten. Er sagte: »Ich spreche nicht von einer Kapitalanlage, ich verkaufe keine Finanzdienstleistungen. Erlauben Sie mir, es Ihnen näher zu erklären?«
Thomas nickte geduldig. »Tun Sie das, ich höre.« Durham hatte, als er um den Termin angefragt hatte, sich rundheraus geweigert, die Art seines Geschäfts zu nennen; trotzdem hatte sich Riemann zu einem Gespräch bereit erklärt – als könnte er gar nicht erwarten, sich bestätigt zu sehen in seiner Meinung, daß sich auch hinter der Geheimnistuerei dieses Unbekannten nichts als Banalitäten verbargen. In der Regel ließ Thomas Besucher von draußen nicht abweisen, auch wenn die Erfahrung gezeigt hatte, daß die meisten nur Geld von ihm haben wollten – auf die eine oder andere Weise. Ein Mensch, der nur um eines Gesprächs willen bereit war, seine Gehirnfunktionen um den Faktor siebzehn verlangsamen zu lassen, hatte es verdient, daß man ihn anhörte – und daß die Gesprächspartner ein so ungleiches Opfer an Zeit bringen mußten, schmeichelte auch ein klein wenig seiner Eitelkeit.
Aber das war keineswegs alles.
Wenn andere Kopien ihn im Büro besuchten oder neben ihm an einem Konferenztisch saßen, dann waren alle auf genau die gleiche Weise »zugegen«. Wie immer man das Wort interpretierte, welche mathematischen Operationen auch immer diese Begegnung zustande brachten – es war ein Treffen von Wesen derselben Art; keiner von ihnen war ein Grenzgänger aus einer anderen Welt.
Ein Besucher jedoch, der eine Kaffeetasse anfassen und daraus trinken konnte, der ein Dokument unterzeichnen und einem die Hand geben konnte – obwohl er unbestreitbar reglos an einem Ort auf einer Couch lag, der einer anderen (höheren?) metaphysischen Ebene angehörte –, dieser Besucher rief Erinnerungen wach, rückte halb vergessene Wahrheiten wieder ins rechte Licht. Dinge, die man einfach nicht vergessen durfte. Dafür war Thomas dankbar. Er wollte nicht selbstzufrieden werden – oder Schlimmeres. Er wollte Klarheit über das, was er nun war, und die Besucher halfen ihm dabei.
Durham sagte: »Natürlich bin ich über Ihre Verhältnisse informiert – Sie sind bestens abgesichert, besser als alle anderen Kopien, mit denen ich gesprochen habe. Ich habe die Gründungsdokumente der Soliton-Stiftung gelesen … hervorragend abgesichert, richtig wasserdicht – allerdings nur, solange die Gesetze bleiben, wie sie sind.«
Riemann lachte laut auf. »Sie glauben also, Sie verstünden es besser? Die Rechtsanwälte in den verantwortlichen Positionen bei Soliton verdienen fast eine Million im Jahr. Warum haben Sie sich nicht einige gefälschte Zeugnisse verschafft und sich um eine Anstellung beworben? Wenn die Gesetze bleiben, wie sie sind! Wenn es neue Gesetze geben wird, dann nur bessere als jetzt, das dürfen Sie mir glauben. Sicher wissen Sie, daß Soliton auch eine Menge Geld ausgibt, um sich in der Politik Gehör zu verschaffen – und wir sind nicht die einzigen. Der Trend ist ganz eindeutig: Jedes Jahr werden es mehr Kopien, und die meisten von ihnen kontrollieren de facto das Vermögen, das ihnen auch zu Lebzeiten gehörte. Wenn Sie mir Angst einjagen wollen, dann ist der Zeitpunkt schlecht gewählt, wirklich schlecht, mein Bester. Erst letzte Woche hat man mir einen Bericht vorgelegt, in dem den Kopien das Zugeständnis der Menschenrechte in vollem Umfang bis Anfang der sechziger Jahre vorausgesagt wird – wenigstens, soweit es Europa betrifft. Zehn Jahre sind für mich keine lange Zeit. Ich habe mich an den gegenwärtigen Drosselfaktor gewöhnt; selbst wenn es schon bald schnellere Prozessoren geben sollte, könnte ich mich leicht mit einem Leben in diesem Schneckentempo abfinden – zumindest für weitere sechs oder sieben Monate subjektiver Zeit. Das ist immer noch besser, als mitzuerleben, wie alles, was man erhofft – wie etwa die
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