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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Stoffwechselprodukten. Statt dessen mußte das Enzym, das den Ring aufspaltete, mutiert sein – A. lamberti besaß also nun eine Epimerase, die die Stoffwechselprodukte der Mutose verarbeiten konnte.
    Maria hielt die Autoversum-Zeit an und vergrößerte ein Enzymmolekül.  Dann beobachtete sie den Vorgang auf molekularem Maßstab in einer Wiederholung. Das Enzym bestand aus einigen tausend Atomen, und es war unmöglich, den Unterschied zur gewöhnlichen Epimerase auf einen Blick zu erkennen – aber es gab keinen Zweifel an dem, was es machte: Das zweiatomige blau-rote Stäbchen des Zuckers, das sie in eine andere Position des Rings gesetzt hatte, wurde nicht zurückversetzt; statt dessen hatte sich das Enzym perfekt an die geänderte räumliche Struktur des Substrates angepaßt.
    Sie rief alte und neue Formen des Enzyms in die Arbeitszone und vergrößerte die Regionen mit unterschiedlicher Tertiärstruktur, dann tastete sie die Moleküle mit den Fingerspitzen ab. Sie war sicher, daß das aktive Zentrum – die Aussparung, an der das Substrat koppelte – eine andere Form angenommen hatte.
    Bei der Spaltung des Zuckerrings bildeten sich dieselben Fragmente wie bei der Spaltung von Nutrose. Der Lambert-Reaktionsweg konnte wie gewohnt fortgesetzt werden.
    Maria war in einer euphorischen Hochstimmung. Sechzehn Jahre lang hatten alle möglichen Leute versucht, A. lamberti zu einer solchen Anpassung zu bewegen. Sie wußte nicht einmal, warum sie nun Erfolg gehabt hatte. Seit fünf Jahren studierte sie die Mechanismen, mit denen die Bakterien Zufallsmutationen ausglichen. Sie hatte versucht, A. lamberti zu zwingen, nicht schneller, sondern zufälliger zu mutieren. Jedesmal war es ihr wie Lambert selbst und Scharen anderer Forscher gegangen: Jeder neue Bakterienstamm brachte eine beschränkte Anzahl immer gleicher, wohlbekannter Mutationen hervor … als säße tief innen im Räderwerk des Autoversums eine Kraft, die die Vielfalt der wirklichen Biologie verhinderte. Calvin und einige andere hatten die Theorie aufgestellt, daß es im Autoversum wegen der fehlenden Unbestimmtheit der Quantenmechanik – weil ihm der »vitalisierende Einfluß der Undeterminiertheit« fehlte – niemals denselben Reichtum an Lebensformen wie in der realen Welt geben könnte, auf welcher Ebene man es auch betrachtete.
    Aber das hatte schon immer absurd geklungen – nun hatte sie bewiesen, daß es absurd war.
    Einen Augenblick lang wollte sie Aden oder Francesca anrufen – aber Aden verstand nicht genug davon, um mehr als höflich zu nicken. Und ihrer Mutter war nicht zuzumuten, daß man sie um diese Zeit weckte.
    Sie stand auf und ging eine Weile in dem engen Schlafzimmer auf und ab, zu aufgeregt, um stillzusitzen. Sie sollte einen Brief an Autoverse Review (Gesamtauflage: 73!) schreiben, mit einem Anhang, der das Genom des mutierten Stammes auflistete. Damit könnte jedermann das Experiment wiederholen …
    Sie setzte sich wieder und begann mit dem Aufsatz. Sie öffnete im Vordergrund der Arbeitszone eine Textverarbeitung, doch dann zögerte sie unschlüssig. Es war noch eine Menge mehr zu tun, bis sie zusammenhatte, was auch nur für eine Kurzmitteilung reichte.
    Sie klonte eine Kolonie des Mutose -umsetzenden Stammes und beobachtete, wie sie bereitwillig in einer Nährlösung aus reiner Mutose wuchs. Nicht mehr überraschend, aber es war noch immer einen Versuch wert.
    Anschließend wiederholte sie das Experiment mit reiner Nutrose -Nährlösung, und die Kolonie starb praktisch sofort ab. Das ursprüngliche Enzym für die Spaltung des Zuckerrings war verlorengegangen; Nutrose und Mutose hatten ihre Rollen als Gift und Nährstoff vertauscht,
    Maria dachte nach. A. lamberti hatte sich angepaßt – aber auf andere Weise, als sie erwartet hatte. Warum hatte das Bakterium keine Möglichkeit gefunden, beide Zucker zu verwerten? Warum hatte es sich darauf beschränkt, den einen exklusiven Nährstoff gegen den andern exklusiven Nährstoff auszutauschen? Beide umzusetzen wäre eine viel bessere Strategie gewesen! Das hätte ein Bakterium der realen Welt gemacht.
    Eine Weile zerbrach sie sich den Kopf – und mußte schließlich in lautes Lachen ausbrechen. Sechzehn Jahre lang hatten Hunderte von Forschern Jagd auf den Beweis für eine »natürliche Auslese« im Autoversum gemacht … und sie saß hier und machte sich Gedanken, warum dieses Bakterium nicht die bestmögliche Art der Anpassung vollzogen hatte!
    Evolution war wie ein Spaziergang mit

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