Cyber City
Enzym, an das sie ihre Hoffnungen geknüpft hatte, das für die Bakterien das Werkzeug sein sollte, die Mutose in Nutrose zu isomerisieren … nichts von Belang, außer den üblichen kurzlebigen, erfolglosen Mutationen. Nicht der kleinste Hinweis, worin sich dieser eine Bakterienstamm von seinen abgestorbenen Verwandten unterschied.
Und warum gediehen sie so prächtig?
Maria »markierte« einen Schwarm Mutose -Moleküle im Kulturmedium, indem sie eine ganze Reihe maxwellscher Dämonen auf die Zuckermoleküle ansetzte, um sie sichtbar zu halten. Das war im Autoversum das Äquivalent dessen, was für den Biochemiker der realen Welt die Technik des Markierens mit radioaktiven Isotopen in Verbindung mit kernresonanzspektroskopischen Analysen war: Die Dämonen würden alle chemischen Veränderungen und ihre Position im Molekül anzeigen. Maria vergrößerte ein einzelnes überlebendes A. lamberti, jetzt in neutralem Grau dargestellt, und beobachtete unzählige grün phosphoreszierende Teilchen, die durch die Zellwände drangen und, von der Brownschen Molekularbewegung angetrieben, im Protoplasma herumtanzten.
Eines nach dem andern verfärbten sich die markierten Mutose -Moleküle von Grün nach Rot – sie hatten die erste Stufe des Stoffwechsels durchlaufen: die Anlagerung einer energiereichen funktionellen Gruppe – das Autoversum-Äquivalent einer Phosphatgruppe. Daran war nichts Neues. Die ersten drei Stufen der Stoffumwandlung verliefen mit Mutose nicht anders als mit Nutrose. Die Enzyme übertrugen die in den Phosphatgruppen gespeicherte Energie unterschiedslos auf beide Moleküle.
Eigentlich waren diese roten Tupfen nicht mehr Mutose, aber Maria hatte die Dämonen angewiesen, auch dann ein unverwechselbares Violett anzunehmen, wenn der falsche Zucker an irgendeiner Stelle in ein verwertbares Molekül umgebaut werden sollte … irgendwann während des Stoffwechsels in Nutrose- Abbauprodukte verwandelt würde. Ohne entsprechende Mutation der Epimerase zweifelte Maria an der Möglichkeit … aber von irgend etwas gediehen die Bakterien – offensichtlich.
Die rot markierten Moleküle wanderten auf Zufallsbahnen durch das Bakterienplasma, wurden teils umgesetzt, teils blieben sie unangetastet.
Schematische Flußdiagramme das Stoffwechsels in Lehrbüchern – sei es nun das Embden-Meyerhoff-Schema der realen Welt oder das Lambert-Schema des Autoversums – erweckten immer den Eindruck, als würden Nährstoffe wie auf einem Förderband von Station zu Station transportiert. In Wahrheit war Leben auf der untersten Ebene nichts weiter als eine Reihe zufälliger Kollisionen verschiedener Moleküle.
Einige rote Punkte verfärbten sich orange. Zweite Stufe: ein Enzym verwandelte den Sechsring des Zuckers in einen Fünfring, wobei einer der abgewinkelten Zipfel des Moleküls zu einem exponierten Auswuchs wurde – reaktiver, leichter zugänglich.
Noch immer nichts Neues. Keine Spur von Violett.
Eine ganze Weile passierte nichts mehr. Maria warf einen Blick auf ihre Uhr und sagte: »Erde«. Sie wollte nachsehen, ob irgendeines der großen Zentren mit hoher Bevölkerungsdichte gerade aufwachte und sich demnächst in das SNV einklinken würde – aber die Satellitenaufnahme des Terminals zeigte, daß die Morgendämmerung schon weit in den Pazifik vorgedrungen war. Die Leute in Kalifornien waren schon auf den Beinen gewesen, bevor Maria nach Hause gekommen war.
Einige orangefarbene Punkte wurden gelb. Stufe drei des Lambert-Reaktionsweges. Dieser Schritt bestand – wie der erste – in der Anknüpfung eines energiereichen Moleküls an den Zucker. Bei der Nutrose zahlte sich das aus, weil am Ende doppelt so viele energieübertragende Moleküle, wie beim Abbau »entladen«, wieder mit dieser energiereichen Gruppe »aufgeladen« wurden. Erst bei der vierten Stufe – der Aufspaltung des Rings in kleine Fragmente – war der Punkt erreicht, an dem die Enzyme nicht mehr mit der Mutose arbeiten wollten.
Nur, daß sich gerade vor ihren Augen einer der gelben Punkte aufgeteilt hatte … und die entstandenen Fragmente von violetter Farbe waren!
Maria war so überrascht, daß sie die Fragmente aus den Augen verlor. Dann sah sie, wie dasselbe Ereignis erneut stattfand … und wieder, ein drittes Mal.
Sie brauchte einige Minuten, bis ihr klar wurde, was das bedeutete. Das Bakterium machte ihren Eingriff – die Verwandlung von Nutrose in Mutose – nicht rückgängig, weder am intakten Molekül noch an seinen
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