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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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leben, egal, was man dabei riskiert. Die Echtzeit spielt keine Rolle. Sollen sie uns doch mit einem einzigen Rechentakt pro Jahr abspeisen – was würde sich ändern? Nichts.« Er blickte auf einen anderen Schirm und stellte fest, daß er sich nicht länger als sieben Minuten subjektiver Zeit im Wolkenkratzer-Modell befunden hatte. Die falschen Erinnerungen hatten sich perfekt in sein Gedächtnis eingefügt. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, nur so kurz dort gewesen zu sein. Das Vorfertigen der Erinnerungen hatte natürlich Zeit gekostet – aber weit weniger, als den Effekt mit den nötigen realen Erfahrungen zu erreichen.
    Kate sagte: »Du irrst dich. Denk einmal an …«
    »Laß sie nicht mehr als einen einzigen Augenblick Systemzeit für eine Kopie auf einem Prozessor-Cluster erübrigen – an dem Tag, an dem er in Betrieb genommen wird – und ihn dann anderen Benutzern überlassen … Die Kopie würde von Maschine zu Maschine wandern, bei einem Verlangsamungsfaktor von einigen Milliarden – was würde das ausmachen? Sie könnten uns umsonst laufen lassen, vielleicht ein Ritual daraus machen – die ›Einsegnung‹ der Hardware durch die Geister der Toten. Wir könnten alle Stiftungen vergessen, brauchten uns keine Sorgen mehr wegen der Finanzen zu machen. Je billiger wir für sie sind, desto weniger verwundbar sind wir.«
    »Das ist nur die halbe Wahrheit. Je unwesentlicher wir für sie sind, desto größer unser Risiko.«
    Peer versuchte, einen Seufzer von sich zu geben. Akustisch war das Ergebnis durchaus zufriedenstellend, doch das Fehlen jeder körperlichen Rückmeldung irritierte ihn wie immer. »Gibt es einen Grund, im Notfall-Modus zu bleiben? Muß ich ein schnelle Entscheidung treffen? Sind Raketen im Anflug auf …«, er warf einen Blick auf den Schirm, » … Dallas?« Dallas? Der US-Dollar mußte kürzlich dem Yen gegenüber ziemlich gefallen sein.
    Kate sagte nichts, also suchte Peer die Sinnbilder für »Körper« und »Raum« und aktivierte sie durch Willenskraft. Sein körperloses Bewußtsein und die schwebenden Schirme im Bunker wurden zu einem jungen Mann, der barfuß, in Jeans und T-Shirt, in einem fensterlosen Kontrollraum saß, der die Schaltzentrale eines mittleren Bürohochhauses hätte sein können.
    Der physiologische Zustand seines Körpers war eine Fortsetzung der letzten Minuten, die er an der Wand des Wolkenkratzers durchlebt hatte, und das tat gut – er war entspannt, fühlte sich belebt. Peer machte eine Momentaufnahme, so daß er sie später nach Bedarf abrufen konnte. Er warf Kate einen bittenden Blick zu; sie gab nach und verschwand vom Schirm. Sekunden später saß ihr Körper neben ihm auf einem Stuhl.
    Sie sagte: »Ich bin Bürgerin der Solipsistischen Nation. Was draußen passiert, kümmert mich nicht … aber trotzdem brauchen wir gewisse Garantien, gesicherte Mindeststandards.«
    Peer lachte. »Was wirst du also tun? Eine Lobby gründen? Damit wir unsere Zeit damit verbringen müssen, Petitionen nach Brüssel und Genf zu schicken? Menschenrechte sind für jene, die gerne Mensch spielen. Ich weiß, was ich bin: kein Mensch.« Er schlug sich mit der Faust gegen die Brust. Seine Faust drang durch Hemd, Haut und Rippen. Er packte das Herz und riß es heraus. Er fühlte, wie sein Brustkorb sich öffnete und spürte den Schmerz – aber obwohl das Gefühl auf gewisse Weise realistisch war, sorgten vorprogrammierte Barrieren dafür, daß die Wahrnehmung irgendwo in seinem Gehirn begraben und ohne emotionale und körperliche Konsequenzen blieb … Das Herz in seiner Hand schlug weiter, als wäre nichts geschehen; Blutströme »übersprangen« die Zwischenräume der abgerissenen Enden seiner Arterien, ignorierten einfach die Distanz.
    Kate sagte: »Du blinzelst einmal, und zehn Stunden sind vergangen … Das ist vielleicht keine Katastrophe – aber wohin wird es führen? Notstandsdekrete, Verstaatlichung aller Rechenkapazität in Tokio für die Wetterkontrolle?«
    »Tokio?«
    »Einige Klimamodelle sagen voraus, daß die Taifune durch globale Erwärmung innerhalb der nächsten dreißig Jahre die japanischen Inseln erreichen werden.«
    »Verdammtes Tokio! Wir sind in Dallas.«
    »Nicht mehr.« Sie zeigte auf das Statusdiagramm; Wechselkursänderungen und die Jagd nach der billigsten Rechenzeit hatten sie über den Pazifik katapultiert. »Vielleicht ist es nicht wichtig. Aber es gibt Pläne für ein ähnliches Projekt im Golf von Mexiko.«
    Peer legte das Herz auf den

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