Cyber City
schleunigst lernen, sie auch zu kontrollieren. Wenn wir das nicht tun und alles dem Zufall überlassen, dann wird die Welt um uns herum auf eine Weise zusammenkrachen, die uns bestimmt nicht besser als der größtmögliche Fehler gefällt, den wir durch gutgemeintes Eingreifen begehen.«
Aden war erschrocken. »Eine künstliche Welt? Glaubst du das im Ernst?«
»Ja.«
»Nur weil du so viel Zeit in der Virtuellen Realität verbringst, daß du den Unterschied nicht mehr kennst.«
Maria war empört. »Ich habe noch nie …« Sie unterbrach sich, als ihr klar wurde, daß er das Autoversum meinte. Wie oft hatte sie versucht, ihm den Unterschied klarzumachen – es war hoffnungslos.
»Tut mir leid«, sagte Aden. »Das war nicht fair.« Er machte eine Geste, die sie wahrscheinlich beschwichtigen sollte, aber nur ungeduldig wirkte. »Komm, laß uns diesen deprimierenden Ökoscheiß vergessen. Ich habe gute Nachrichten, wir ziehen um: Wir gehen nach Seoul.«
Maria lachte. »Tun wir das? Warum?«
»Man hat mir eine Stelle angeboten. Am Musikseminar der Universität.«
Sie warf ihm einen schiefen Blick zu. »Nett, daß ich von deiner Bewerbung erfahre.«
Er tat es mit einem Schulterzucken ab. »Ich wollte nicht, daß du dir verfrüht Hoffnungen machst – oder ich. Ich habe es erst heute nachmittag erfahren, ich kann es noch immer nicht fassen. Ein Lehrauftrag für ein Jahr, als Gastdozent. Einige Stunden Vorlesungen in der Woche, und in der übrigen Zeit kann ich tun, was ich will: komponieren, Konzerte geben, produzieren – was auch immer. Und sie stellen eine kostenlose Wohnung für zwei Personen zur Verfügung.«
»Aber … warte mal. Nur einige Stunden Vorlesungen? Und warum mußt du dann höchstpersönlich dorthin?«
»Sie wollen das so. Sie wollen einen physisch anwesenden Dozenten – aus Prestigegründen. Jede Hinterhof-Universität kann sich ein Dutzend Professoren aus der ganzen Welt auf den Schirm holen …«
»Das hat nichts mit Hinterhof zu tun, es ist praktisch.«
»Praktisch und billig. In Seoul darf nichts billig sein. Sie brauchen ein sichtbares Symbol ihrer exotischen Kultur … hör auf zu lachen. Australier sind in Korea der Hit des Monats. Das passiert nur alle zwanzig Jahre. Wir sollten nicht lange zögern. Sie wollen einen Fleisch-und-Blut- Komponisten an Ort und Stelle.«
Maria lehnte sich zurück und dachte nach.
»Ich weiß nicht, wie es dir geht«, drängte Aden. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie wir uns je ein Jahr in Korea leisten könnten, wenn nicht auf diese Weise.«
»Du hast schon zugesagt?«
»Ich sagte, vielleicht. Wahrscheinlich.«
»Freies Wohnen für uns beide. Und was soll ich tun, während du exotisch und dekorativ bist?«
»Was du willst. Alles, was du hier machst, kannst du genausogut dort tun. Du bist es doch, der ständig davon schwärmt, wie leicht man über die Computernetze mit der ganzen Welt Kontakt haben kann … daß du ein Knoten in einem logischen Datennetz bist, dessen physischer Aufenthaltsort vollkommen bedeutungslos ist …«
»Richtig, genau das ist es. Man bleibt eben da, wo man ist. Ich mag mein Zuhause und das ganze Drumherum.«
»Deinen Schuhkarton!«
»Eine Wohnung auf dem Campus von Seoul wird kaum größer sein.«
»Wir werden doch nicht nur in der Wohnung sein! Was für eine aufregende Stadt … dort findet eine kulturelle Renaissance statt, nicht nur in der Musikszene. Wer weiß, vielleicht findest du ein interessantes Projekt, an dem du mitarbeiten kannst. Nicht alles wird über das Netz verbreitet.«
Da hatte er recht. Korea war Vollmitglied der ASEAN, im Gegensatz zur Probemitgliedschaft Australiens. Hätte sie in Seoul gelebt, zur rechten Zeit die richtigen Kontakte gehabt, dann könnte sie jetzt Mitarbeiterin des Projekts Schmetterling sein. Und selbst wenn das reines Wunschdenken war (wahrscheinlich dauerte es ein ganzes Jahrzehnt, die richtigen Kontakte zu knüpfen): Schlechter als in Sydney konnte es ihr dort auch nicht gehen.
Maria verfiel in Schweigen.
Es war eine gute Nachricht, eine seltene Chance für sie beide; aber sie verstand nicht, warum er sie aus heiterem Himmel damit überfiel. Er hätte ihr sagen müssen, daß er sich beworben hatte, ganz gleich, wie gering seine Aussichten waren.
Sie blickte zur Bühne hinüber, wo die zwölf Musiker sich die Seele aus dem Leib spielten, dann wandte sie den Blick wieder ab. Es war etwas Ungehöriges daran, man machte sich zum bloßen Voyeur, wenn man sie ohne Kopfset
Weitere Kostenlose Bücher