Cyber City
wieder.
Und da eine solche Verschmelzung keinerlei Spuren hinterließ, würde die »Erklärung« des Fleisch-und-Blut- Durhams für seine sonderbare Überzeugung, eine »zweite« Vergangenheit als Kopie zu besitzen, immer dürftiger und gezwungener ausfallen … und die Staubhypothese immer zwingender werden.
Paul lag in der Dunkelheit in seinem Bett und wartete auf die Morgendämmerung. Er starrte in eine Zukunft, die sich in einem Korridor aus Spiegeln in der Ferne verlor.
Da war noch etwas, das ihm keine Ruhe ließ. Er hätte schwören können, daß er einen Traum gehabt hatte, kurz bevor er aufwachte: eine ausgedehnte Geschichte, hinter der sich eine wichtige Erkenntnis verborgen hatte, soviel war sicher – aber das war auch schon alles, an das er sich erinnern konnte. Es war zum Verrücktwerden … er brachte die Einzelheiten nicht mehr zusammen, obwohl alles noch zum Greifen nah zu sein schien.
Er vergaß seine Träume immer, und er war sicher, daß auch dieser für alle Zeit verloren war.
17
(Vergib nicht den Mangel)
April 2051
Unbehaglich schob sich Maria auf ihrem Stuhl hin und her, um wieder Blut durch ihre fast gefühllos gewordenen Beine strömen zu lassen. Es wurde nicht besser. Sie stand auf und schleppte sich hinkend durch das Zimmer, bückte sich dann, um die taube rechte Wade zu massieren.
Sie sagte: »Und Sie behaupten, der dreiundzwanzigste zu sein?« Sie erschrak bei dem Gedanken, daß es zu skeptisch klingen könnte – nicht aus Rücksicht gegenüber Durham, der sich vielleicht gekränkt fühlen könnte, sondern weil von seiner eigenartigen Geschichte ein Zauber ausging, den sie nicht einfach mit einem Fingerschnippen verscheuchen wollte … noch nicht. Die leiseste Andeutung von Spott, und alles konnte vorbei sein. »Sie sind der dreiundzwanzigste Paul Durham aus Fleisch und Blut, und Ihre Vergangenheit schließt alle jene mit ein, die vor Ihnen waren?«
Durham sagte: »Ich täusche mich vielleicht, was die genaue Zahl betrifft. Vielleicht habe ich die letzte Version mehr als einmal gezählt, vielleicht waren auch einige der zweiundzwanzig vorangegangenen Inkarnationen nicht das, wofür ich sie hielt. Meine Krankheit, die Art meiner Wahnvorstellungen begünstigt Irrtümer dieser Art.«
»Begünstigt … ist das nicht eine Untertreibung?«
Durham blieb unbeirrt. »Ich bin geheilt. Die Nanochirurgie war erfolgreich. Nach dem Urteil der Ärzte bin ich geistig normal, und ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln. Sie haben einen Scan meines Gehirns gemacht, es funktioniert tadellos. Ich habe mir die Daten angesehen – vorher und nachher. Die Aktivität im präfrontalen Cortex …«
»Aber begreifen Sie nicht, wie absurd das ist? Sie geben zu, daß es Wahnvorstellungen gab; nun erklären Sie, geheilt zu sein … aber Ihre Wahnvorstellungen sollen keine Wahnvorstellungen …«
Geduldig sagte Durham: »Ich habe von Anfang an nichts anderes behauptet. Mein Zustand erklärt alles. Ich habe geglaubt – weil ich krank war –, daß ich die dreiundzwanzigste Kopie eines anderen Paul Durham aus einer anderen Welt wäre.«
» Weil Sie krank waren! Damit ist doch alles gesagt.«
»Nein. Weil ich jetzt mit Sicherheit wieder gesund bin – und die Logik der Urstaub-Theorie für mich so überzeugend klingt wie eh und je. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob die Erinnerungen an frühere Existenzen wahr sind oder falsch oder meinetwegen beides.«
Maria stöhnte auf. »Die Logik der Urstaub-Theorie! Es ist eben keine Theorie – sie läßt sich nicht überprüfen!«
»Nicht überprüfen – von wem nicht?«
»Von niemandem! Verstehen Sie doch … Angenommen, alles, was Sie glauben, entspricht der Wahrheit: daß Sie dreiundzwanzig aufeinanderfolgende Experimente ›absolviert‹ haben – dann wissen Sie noch immer nicht, was damit bewiesen oder nicht bewiesen ist! Wie Sie selbst sagen, Ihr eigener Zustand erklärt alles. Haben Sie noch nie von Ockhams Rasiermesser gehört? Sobald man eine vollkommen einleuchtende Erklärung für eine Sache gefunden hat, muß man nicht nach immer komplizierteren Erklärungen für die ständig gleiche Sache suchen. Ihre Staubhypothese ist nicht erforderlich!« Ihre Worte hallten in dem fast leeren Zimmer wider. Sie sagte: »Ich muß an die frische Luft.«
Beharrlich meinte Durham: »Nach dreiundzwanzig zweideutigen Versuchsergebnissen weiß ich endlich, wie ich es diesmal richtig machen muß. Eine Kopie und eine VR-Umgebung zusammen sind nicht mehr als
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