Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
besten Weg, den Verstand zu verlieren – ich weiß nicht mehr, wer oder was ich bin.«
    Elisabeth nahm wieder seinen Arm. »Du bist verwirrt, aber das ist nur natürlich – es wird bald vorüber sein. Du hast das alles aus gutem Grund getan; es hat dich ganz krank gemacht, daß deine Kopien nicht mitspielen wollten. Du mußtest endlich herausfinden, wie sie sich fühlen, am eigenen Leib spüren, welche Erfahrungen sie machen. Was konntest du da Besseres tun, als selbst einige Tage lang in die Rolle einer Kopie zu schlüpfen? Das mußte die Lösung bringen, so oder so: Entweder würden deine Erfahrungen schließlich eine Kopie ermöglichen, die psychologisch auf ihr Schicksal vorbereitet ist – oder du würdest verstehen, warum sie ihr Dasein nicht ertragen können, und aus Mitgefühl ganz auf ihre Erschaffung verzichten.
    Unser Plan sah vor, daß du bereits während deines Aufenthalts in der VR, gleich nach dem dritten Experiment, eingeweiht werden solltest. Aber als du angefangen hast, mir diese verrückten Sachen zu erzählen, habe ich die Nerven verloren. Das einzige, was ich noch zustande brachte, war, dir durch dein vorgebliches ›Original‹ mitteilen zu lassen, daß du vorübergehend außer Betrieb gesetzt werden solltest. Ich hatte nicht die Absicht, dich zu erschrecken. Ich hatte nicht erwartet, daß es dir so zusetzen würde.«
    Ein Techniker betrat das Zimmer und entfernte Tropf und Katheter. Mühsam richtete sich Paul auf und blickte durch die Glasscheiben der Schwingtür; im Korridor standen fünf oder sechs Leute. Er stieß einen unartikulierten Schrei aus, so laut seine Lungen es erlaubten. Die Leute fuhren herum und starrten durch die Tür auf ihn. Der Techniker sagte nachsichtig: »Wahrscheinlich wird Ihre Harnröhre noch ein oder zwei Stunden lang brennen.«
    Paul ließ sich auf seine Pritsche zurückfallen und wandte sich zu Elisabeth. »Du könntest kein interaktives Publikum wie die da draußen bezahlen, auch ich nicht … Sieht so aus, als würdest du die Wahrheit erzählen.«
     
    Überall Menschen, herrliche echte Menschen. Tausende völlig fremder Menschen, die seinen Blick mißtrauisch oder erstaunt erwiderten, die einen Schritt zur Seite machten, um ihm auszuweichen, oder – öfter noch – störrisch auf ihrem Kurs beharrten. Das Gefühl von Freiheit war unbeschreiblich. Einen ganzen Tag wanderte er durch Sydney, ließ nicht die häßlichste Einkaufspassage aus, nicht die Parks und Gassen, wo es nach Urin stank und Abfälle ringsum verstreut lagen – bis er sich gegen Abend inmitten des dichten Feierabendverkehrs auf wunden, geschwollenen Füßen heimwärts quälte, um die Echtzeitnachrichten zu sehen.
    Es war kein Zweifel mehr möglich: Dies war keine virtuelle Umgebung. Niemand auf der Welt würde so viel Geld ausgeben, nur um ihn zu täuschen.
    Elisabeth fragte, ob sein Gedächtnis wiederhergestellt sei, und er nickte zustimmend. Sie verzichtete auf Fragen nach dem einen oder anderen peinlichen Detail. Er war in Gedanken ihre Geschichte häufig genug durchgegangen, daß er sich die einzelnen Stadien seiner Überlegungen auch so zusammenreimen konnte: seine Skrupel nach dem fünften Scan, das wiederholte Verschieben der Inbetriebnahme des Modells, wie er Elisabeth in seine Probleme eingeweiht hatte und wie er schließlich auf ihre Herausforderung eingegangen war, die Leiden einer Kopie am eigenen Leib nachzuvollziehen.
    Und wenn die unterdrückten Gedächtnisinhalte sich nicht vollständig wieder einfinden sollten – na schön, er hatte sich in der Fachliteratur umgesehen. Es gab ein gewisses Risiko, eine Wahrscheinlichkeit von zwei Komma fünf Prozent, daß die elektronische Blockade bestimmter Erinnerungen auch die ihnen zugrundeliegenden synaptischen Verbindungen beeinträchtigte, und das auf Dauer.
    Es gab sogar noch eine Liste der Aufsätze, die er vor dem Experiment von seiner Datenbank zu diesem Thema angefordert hatte: Es waren dieselben.
    Er sah sich noch einmal die Nachrichtensendungen an, die er von drinnen kannte, las jede Zeile der Bildschirmzeitung – es stimmte alles. Er wühlte sich durch enzyklopädische Datenbanken, die alles Wissen der Welt gespeichert hatten, machte Stichproben, überprüfte Fakten aus Geschichte, Geographie und Astronomie – und obwohl er gelegentlich überrascht war, was ihm bisher alles an interessanten Details entgangen war – es ergaben sich keine Widersprüche. Die Kontinente waren noch immer an Ort und Stelle, am Himmel leuchteten

Weitere Kostenlose Bücher