Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
Vom Netzwerk:
die nervösen Blicke, die die Unteroffiziere wechseln. Noch vor zehn Stunden war dies die Republik Awadh, und die Soldaten trugen dreifache Yin-Yangs in Grün-Weiß-Orange auf den ansonsten identischen Chamäleon-Tarnanzügen. Sie befinden sich in Mörserreichweite der Geisterdörfer, die durch den sinkenden Wasserstand in ihrer architektonischen Nacktheit entblößt sind. Sogar ein einzelner Heckenschütze würde genügen. Sajida Rana schreitet weiter, ihre handgefertigten Stiefel klacken auf dem Straßenbelag. Die Soldaten stehen aufgereiht hinter dem Podest. Jemand testet die Lautsprecher mit einer Reihe von kreischenden Rückkopplungen. Die Kameraleute der Nachrichtensender erspähen die Premierministerin im Kampfanzug und stürmen zu ihr. Die Militärpolizei zückt Lathis und drängt sie zurück. Shaheen Badoor Khan wartet am Fuß der Treppe; die Premierministerin, der Verteidigungsminister und der Divisionskommandeur besteigen das Podest. Er weiß, was Sajida Rana sagen wird. Er selbst hat der Rede den letzten Schliff gegeben, während er am Morgen mit der Limousine zum Militärflugplatz gefahren ist. Das allgemeine Raunen der Männer, die sich unter der heißen Sonne versammelt haben, verebbt, als sie sehen, wie ihr Oberbefehlshaber ans Mikrofon tritt. Shaheen Badoor Khan nickt in stiller Zufriedenheit, wie sie für Stille sorgt.
    »Jai Bharat!«
    Etwas, das nicht im Drehbuch steht. Shaheen Badoor Khan erstarrt für einen Moment. Auch den Männern ist das klar. Das Schweigen hält an, dann bricht der Jubel aus. Zweitausend Stimmen antworten donnernd. Jai Bharat! Sajida Rana wiederholt Ruf und Gegenruf dreimal. Dann trägt sie die Botschaft ihrer Rede vor. Sie ist nicht für die Soldaten bestimmt, die entspannt auf der Dammstraße stehen oder sich in den Truppentransportern auf ihre Waffen stützen. Sie spricht für die Kameras und Mikros und die Nachrichtenredakteure. Haben uns um eine friedliche Lösung bemüht. Bharat keine Nation, die sich einen Krieg wünscht. Tigerin geweckt. Krallen stutzen. Hoffnung auf eine diplomatische Lösung. Weiterhin die Möglichkeit eines ehrenhaften Friedens auf dem Verhandlungsweg. Großzügiges Angebot an unsere Feinde. Wasser hätte immer ein gemeinsames Gut sein sollen. Nicht nur für eine Nation. Ganga unsere gemeinsame Lebensader.
    Die Soldaten rühren sich nicht. Sie scharren nicht mit den Füßen. Sie stehen in voller Kampfmontur in der drückenden Hitze, hören die Worte und jubeln, wo Jubel angemessen ist, und verstummen, wenn Sajida Rana sie mit Augen und Händen zum Schweigen bringt. Den Knüller hebt sie sich bis zuletzt auf: »Und schließlich überbringe ich Ihnen noch die Nachricht von einem weiteren Triumph. Meine Herren, Bharat dreihundertsiebenundachtzig für sieben!« Die Männer toben und stimmen einen Sprechgesang an. Jai Bharat! Jai Bharat! Sajida Rana nimmt den Applaus entgegen und marschiert davon, während er noch in der Luft hängt.
    »Nicht schlecht, was, Khan?«
    »Mazumdar hat soeben einhundertsiebzehn gemacht«, sagt Shaheen Badoor Khan, als er sich seiner Vorgesetzten anschließt. Der Hummer-Konvoi bringt sie schnell zur Kommandozentrale zurück. Diese Sache war von Anfang an als Rein-und-Raus-Aktion geplant. Der Generalstab hat dringend davon abgeraten, aber Sajida Rana hat sich nicht umstimmen lassen. Das Versöhnungsangebot muss aus einer Position der Macht heraus erfolgen, ohne dass sich die Ranas erniedrigen. Die Analysten haben die Satellitendaten und die Informationen der Cyberkrieg-Spionage studiert und eine realistische Einschätzung von einer Stunde Sicherheit eingeräumt, bevor die Awadhis einen Vergeltungsschlag in die Wege leiten können. Die Hummer und Truppentransporter rasen über die holprigen Schotterstraßen zurück. Ihre Staubwolken sind bestimmt aus dem Orbit erkennbar. Die Kaih-Flieger folgen ihnen wie ein Rudel Raubtiere. Wachposten blicken nervös in den Himmel, während sie Premierministerin Rana und ihren Hauptberater eilig zum Senkrechtstarter bringen, der bereits warmläuft. Die Luke wird versiegelt, Shaheen Badoor Khan schnallt sich an, und das Flugzeug springt in die Luft, lässt seinen Magen unten auf den plattgedrückten Pflanzen der Ackerbauflächen zurück. Der Pilot steigt mit Vollschub auf, kurz davor, die Maschine zu überziehen. Shaheen Badoor Khan ist nicht zum Fliegen geboren. Er spürt jedes Schlingern und Absacken wie einen kleinen Tod. Seine weißen Fäuste umklammern die Armlehnen. Dann neigt sich der

Weitere Kostenlose Bücher