Cyberabad: Roman (German Edition)
betrachten und für die Kameras zurechtstutzen, all die Dinge, die er schon so lange mit so großer Loyalität für Sajida Rana getan hat.
Er kann es nicht. Seine Feinde innerhalb und außerhalb der Partei hassen ihn schon genug dafür, dass er Muslim ist. Als Perverser, als Frauenverlasser, als Liebhaber von Dingen, die für die meisten von ihnen nicht einmal menschlich sind, wäre seine Karriere vorbei. Die Rana-Regierung würde es nicht überleben. In erster Linie ist Shaheen Badoor Khan ein Staatsdiener. Die Verwaltung muss intakt bleiben.
»Darf ich offen sprechen, Premierministerin?«
Sajida Rana beugt sich über den schmalen Mittelgang. »Das ist schon das zweite Mal während dieser Unterhaltung, Shaheen.«
»Meine Frau ... Bilquis ... nun ja, in letzter Zeit hat es sich zwischen uns etwas abgekühlt. Als die Jungen an die Universität gegangen sind ... abgesehen von ihnen hatten wir schon vorher nicht mehr viel, worüber wir geredet haben. Wir beide führen ein eigenständiges Leben – Bilquis hat ihre Kolumne und das Frauenforum. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass wir uns dadurch nicht von unseren beruflichen Pflichten abbringen lassen. Wir werden Sie nicht noch einmal auf solche Weise in Verlegenheit bringen.«
»Es ist keine Verlegenheit«, murmelt Sajida Rana. Dann macht der Militärpilot eine knappe Ansage, dass sie in zehn Minuten auf der Nabha Sparasham Air Force Base landen werden, und Shaheen Badoor Khan nutzt die Ablenkung, um aus dem Fenster auf den großen braunen Fleck der monströsen Bastis von Varanasi zu blicken. Er gestattet sich das leichte Zucken eines Lächelns. In Sicherheit. Sie weiß es nicht. Er hat es hingekriegt. Aber jetzt gibt es ein paar Dinge, die er erledigen muss. Und dort, am südlichsten Rand des Horizonts, ist das etwa eine dunkle Wolkenlinie?
Erst nach dem Tod seines Vaters hat Shaheen Badoor Khan verstanden, wie sehr er das Haus am Fluss verabscheut hat. Nicht dass das Haveli hässlich oder erdrückend wäre – ganz im Gegenteil. Aber die luftigen Säulengänge und Veranden und die geräumigen Zimmer mit den hohen Decken sind mit Geschichte, Tradition und Pflicht getränkt. Shaheen Badoor Khan kann nicht die Treppe hinaufsteigen und unter der großen Messinglaterne unter dem Vordach hindurchgehen und das Foyer mit den doppelten Wendeltreppen betreten, eine für die Männer und eine für die Frauen, ohne sich daran zu erinnern, wie er hier als kleiner Junge gelebt und sich hinter einer Säule versteckt hat, als sein Großvater Sayid Raiz Khan hinausgetragen wurde, zum Verbrennungsplatz am alten Jagdhaus im Sumpfland, und dann noch einmal, als er seinem Vater gefolgt war, der die gleiche Reise durch die Teaktüren antrat. Er selbst wird die gleiche Reise antreten, durch die schönen Türen aus Teakholz nach draußen. Seine eigenen Söhne und Enkelkinder werden ihn begleiten. Im Haveli wimmelt es von Leben. Keine Ritze ist vor Verwandten und Freunden und Dienern sicher. Jedes Wort, jede Tat, jeder Vorsatz ist sichtbar und transparent. Die Vorstellung, allein zu wohnen, ist etwas, woran er sich mit innigem Vergnügen aus Harvard erinnert. Die Vorstellung von Privatsphäre, von Zurückgezogenheit ist etwas, das er nur aus New England kennt, etwas, das er beiseitegelegt hat, um es ein andermal zu verwenden.
Er schreitet durch das Hochparterre zur Frauenhälfte des Hauses. Wie immer zögert er vor der Tür zur Zenana. Die Purdah wurde zu Zeiten seines Großvaters aus dem Haveli Khan verbannt, aber Shaheen Badoor Khan hat stets eine gewisse Scham vor den Räumlichkeiten der Frauen verspürt. Hier sind Dinge, Geschichten in den Wänden und Lebensweisen, die nichts mit ihm zu tun haben. Ein geteiltes Haus, wie die Hälften des Gehirns.
»Bilquis.« Seine Frau hat sich ihr Arbeitszimmer auf dem abgeschirmten Balkon mit Blick auf die wimmelnden, lärmenden Ghats und den stillen Fluss eingerichtet. Hier schreibt sie ihre Artikel und Radioansprachen und Essays. Im Vogelgarten darunter empfängt sie ihre klugen, entrechteten Freundinnen, sie trinken Kaffee und schmieden Pläne, die kluge, entrechtete Frauen eben schmieden.
Wir sind eine deformierte Gesellschaft , hatte der Staatsdiener und Musikliebhaber gesagt, als Mumtaz Haq auf die Bühne getreten war.
»Bilquis.«
Schritte. Die Tür geht auf, das Gesicht einer Bediensteten – Shaheen Badoor Khan kann sich nicht erinnern, welche es ist – lugt heraus.
»Die Begum ist nicht hier, Sahb.«
Shaheen Badoor Khan
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