Cyberabad: Roman (German Edition)
wird.
Ein Moped-Taxi schert aus und arbeitet sich durch den Verkehr zum Straßenrand vor. Der Fahrer ist ein junger Mann mit vorstehenden Zähnen und einem Flaum als Schnurrbart.
»Parvati!« Die Stimme ist genau hinter ihr. Das ist schlimmer als der Tod. Sie steigt auf den Rücksitz, und der Fahrer beschleunigt, an der verblüfft starrenden Gestalt in der gepressten schwarzen Hose und dem streng gebügelten weißen Hemd vorbei. Parvati kehrt zur leeren Wohnung zurück, sie zittert vor Scham und Todessehnsucht, und zu Hause findet sie die Türen offen vor und ihre Mutter, die sich mit ihrem Reisegepäck in der Küche niedergelassen hat.
22 Shaheen Badoor Khan
Der Damm ist eine lange, niedrige Kurve aus aufgeschütteter Erde, gewaltig wie ein Horizont, das eine Ende vom anderen aus unsichtbar, in den sanften Wölbungen des Ganga-Tals verankert. Der Senkrechtstarter der Bharati Air Force nähert sich Kunda Khadar von Osten. Er fliegt tief über die winkenden Jawans hinweg und wendet über dem See. Die Kaih-Kampfhubschrauber scharen sich näher um ihn, als es für Shaheen Badoor Khan angenehm ist. Sie fliegen wie Vögel, mit waghalsigen Manövern, die sich kein menschlicher Pilot trauen würde, weil Instinkte und körperliche Gegebenheiten sie verbieten. Der Senkrechtstarter schwenkt ein, die Kaih-Flieger schießen heran, um ihm Deckung zu geben, und Shaheen Badoor Khan blickt hinunter auf eine weite, seichte Mulde voll algengrünem Wasser, das von schmutzigem, sandigem Schotter begrenzt wird, so weit das Auge reicht, weiß und toxisch wie Salz. Eine schlickige Brühe, von der nicht einmal eine Kuh trinken würde. Auf dem Sitz gegenüber schüttelt Sajida Rana den Kopf und flüstert: »Großartig.«
Hätten sie doch nur zugehört, wären sie nicht überstürzt mit den Soldaten einmarschiert, in den Köpfen nichts anderes als Jai Bharat!, denkt Shaheen Badoor Khan. Das Volk will einen Krieg , hatte Sajida Rana bei der Kabinettssitzung gesagt. Jetzt bekommt das Volk, was es will.
Der Premierministerjet landet auf einem hastig geräumten Feld am Rand eines Dorfes zehn Kilometer von der Bharati-Seite des Damms entfernt. Die Kaih-Flieger kreisen darüber wie Milane über einem Turm des Schweigens. Die Besatzungstruppen haben hier ihr Feldlager errichtet. Mechanische Einheiten graben im Osten, Roboter säen ein Minenfeld. Shaheen Badoor Khan in seinem Stadtanzug blinzelt hinter der Marken-Sonnenbrille im grellen Licht und bemerkt, dass die Dorfbewohner am Rand ihrer konfiszierten und ruinierten Felder stehen. Sajida Rana schreitet bereits in ihrem maßgeschneiderten Kampfanzug auf das Empfangskomitee zu, das aus Offizieren und Wachen und V. S. Chowdhury besteht. Sie will das Nummer-eins-Pin-up an den Wänden der Zimmer in den Baracken sein, Mama Bharat, gleich neben Nina Chandra. Die Offiziere namastieren und eskortieren die Premierministerin und ihren Berater durch den Staub zu den Hummers. Sajida Rana geht mit zielstrebigen Schritten, und Minister Chowdhury trottet neben ihr her, während er versucht, sie zu briefen. Wie ein kleiner kläffender Hund, denkt Shaheen Badoor Khan. Als er in den Schwitzkasten des Passagierabteils des Hummers steigt, blickt er auf den Senkrechtstarter zurück, der auf den Rädern und Triebwerken hockt, als hätte er Angst vor einer Kontamination. Der Pilot ist eine Zecke mit schwarzem Visier, die sich im Kopf der Maschine festgebissen hat. Unter der mit Sensoren gespickten Nase wirkt der lange Lauf eines Automatikgeschützes wie der Rüssel eines Insekts, das anderen Lebewesen den Saft aussaugt. Ein anmutiger Killer.
Shaheen Badoor Khan sieht den Banana Club, das blinde Lächeln der alten Frau, die ihre Gäste anhand der Pheromone identifizierte, die dunklen Nischen, in denen sich die lachenden Stimmen vermischten, die Körper, die sich entspannt aneinanderschmiegten. Das fremdartige, wunderschöne Geschöpf, das aus der Dunkelheit und den Dhol-Beats herangeschwommen kam wie eine Nautch-Tänzerin.
Im Hummer riecht es nach Magic-Pine-Raumspray. Shaheen Badoor Khan steigt aus und blinzelt im Licht, das von der Betondecke der Straße widerstrahlt. Sie befinden sich auf der Dammkrone. In der Luft hängt der üble Geruch von toter Erde und abgestandenem Wasser. Selbst Magic Pine wäre ihm jetzt lieber. Ein dünner Pissstrahl aus gelbem Wasser rieselt durch die Überlaufrinne. Das ist Mutter Ganga.
Jawans sammeln sich hastig zu einer Ehrengarde. Shaheen Badoor Khan bemerkt die SAM -Roboter und
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