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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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Frage stellen? Sie ist sehr einfach. Was ist Ihre früheste Erinnerung?«
    Sie ist nie sehr fern, jene Nacht des Feuers, der Hektik und der Furcht. Sie durchzieht ihr Leben wie eine geologische Iridiumschicht. Vater holt sie aus dem Bett, über den Boden ist Papier verstreut, das Haus ist voller Lärm, und Lichter zucken im Garten. Daran erinnert sie sich am deutlichsten, an die Lichtkegel der Taschenlampen, die über die Rosenbüsche wedeln, auf der Suche nach ihr. Die Flucht über das Grundstück. Ihr Vater, der leise flucht, während er immer wieder versucht, den Motor des Wagens anzulassen. Die Lichter, die immer näher kommen. Ihr Vater, unablässig fluchend, doch stets höflich, selbst als die Polizei kommt, um ihn zu verhaften.
    »Ich liege auf der Rückbank eines Autos«, sagt Najia. »Ich drücke mich ins Polster, und es ist Nacht, und wir rasen durch Kabul. Mein Vater sitzt am Lenkrad, neben ihm meine Mutter, aber ich kann sie über die Rückenlehnen nicht sehen. Ich höre sie nur sprechen, es klingt sehr weit entfernt, und sie haben das Radio eingeschaltet. Sie horchen auf etwas, aber ich kann nichts verstehen.« Die Nachricht über die Razzia im Frauenhaus und das Ausstellen ihrer Haftbefehle, wie sie jetzt weiß. Nach dieser Bekanntmachung war ihnen klar, dass ihnen nur noch Minuten blieben, bis die Polizei den Flughafen abgeriegelt hatte. »Ich sehe die Straßenlampen, die an uns vorbeiziehen. Sehr regelmäßig und exakt. Das Licht wird heller, wischt über mich hinweg, wandert an den Rückenlehnen hoch und fliegt dann zum Fenster hinaus.«
    »Das sind sehr starke Bilder«, sagt Lal Darfan. »Wie alt waren Sie damals? Drei, vier?«
    »Nicht ganz vier.«
    »Auch ich habe eine früheste Erinnerung. Deshalb weiß ich, dass ich nicht Ved Prekash bin. Ved Prekash folgt einem Drehbuch, aber ich erinnere mich an einen Schal mit Paisleymuster, der im Wind flattert. Der Himmel war blau und klar, und das Ende des Schals flattert von der Seite heran, wie eine Filmaufnahme, bei der die Handlung außerhalb des Bildes stattfindet. Ich sehe sehr deutlich, wie der Schal flattert. Man hat mir gesagt, das wäre auf dem Dach unseres Hauses in Patna gewesen. Mama hatte mich nach oben gebracht, um den Abgasen auf Bodenhöhe zu entgehen. Ich lag auf einer Decke, über mir ein Sonnenschirm. Der Schal war gewaschen worden und hing auf der Leine. Komisch, er war aus Seide. Daran erinnere ich mich ganz deutlich. Es müssen mindestens zwei gewesen sein. Da! Zwei Erinnerungen. Na gut, werden Sie sagen, Ihre sind fabriziert, aber meine beruhen auf Erfahrungen. Aber woher wissen Sie das? Es könnte etwas sein, das man Ihnen erzählt hat und woraus Sie eine Erinnerung gemacht haben. Es könnte eine falsche Erinnerung sein, sie könnte künstlich erzeugt und Ihnen eingepflanzt worden sein. Viele Hunderttausend Amerikaner glauben, sie wären von grauen Aliens entführt worden, die ihnen irgendwelche Maschinen ins Rektum gesteckt haben. Pure Phantasie und zweifellos von Anfang bis Ende falsche Erinnerungen, aber macht sie das zu falschen Menschen? Woraus bestehen unsere Erinnerungen überhaupt? Aus Musterveränderungen in Proteinmolekülen. Ich glaube, wir sind eigentlich gar nicht so unterschiedlich. Dieses Luftschiff, dieses alberne Elefantending, das ich mir habe bauen lassen, die Vorstellung, wir würden über Nepal dahinschweben – für Sie sind das Muster elektrischer Ladungen in Proteinmolekülen. Aber das gilt für alles. Sie bezeichnen es als Illusion, ich würde von den fundamentalen Bausteinen meines Universums sprechen. Ich stelle mir vor, dass ich alles anders sehe als Sie, aber woher will ich das wissen? Woher weiß ich, dass etwas Grünes für Sie genauso aussieht wie für mich? Wir alle sind in unsere kleinen Ich-Schachteln eingesperrt, ob sie nun aus Knochen oder Plastik bestehen, Najia, und keiner von uns kommt jemals heraus. Kann irgendjemand von uns dem trauen, woran wir uns zu erinnern glauben?«
    Ich tue es, Computer, denkt Najia Askarzadah. Ich muss meinen Erinnerungen trauen, weil alles, was ich bin, darauf beruht. Der Grund, warum ich hier bin, warum ich in dieser aberwitzigen virtuellen Realität mit einem Tivi-Soapstar spreche, der sich einbildet, bedeutetend zu sein, der Grund dafür sind die zuckenden Lichter.
    »Aber in diesem Fall würden Sie, als Lal Darfan, doch sehr hart am Wind segeln. Ich meine die Hamilton-Gesetze über Künstliche Intelligenzen ...«
    »Die Krishna Cops? McAuleys Hijras!«, sagt

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