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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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Raum voller Workstations. Die Glaswände sind dunkel polarisiert, die Soap-Farmer arbeiten im Schattenlicht schwacher Strahler und leuchtender Bildschirme. Die Hände der Designer zeichnen im Neuroraum. Najia erschaudert fast, als sie sich vorstellt, ihr Arbeitsleben an einem Ort wie diesem zu verbringen, völlig von der Sonne abgeschottet. Dann erregen Streulicht auf hohen Wangenknochen, ein haarloser Kopf, eine zierliche Hand ihre Aufmerksamkeit, und nun ist sie es, die Satnam ins Wort fällt.
    »Wer ist das?«
    Satnam reckt den Hals. »Ach, das ist Thal. Er ist neu hier. Er ist für die visuellen Hintergründe verantwortlich.«
    »Ich glaube, das richtige Pronomen lautet ›ys‹«, sagt Najia und versucht, durch das Hand-Ballett einen besseren Blick auf das Neut zu erhaschen. Sie kann gar nicht sagen, warum es sie überrascht, einen Vertreter des dritten Geschlechts im Produktionsbüro vorzufinden – in Schweden drängten viele Neuts in die kreative Industrie, und Indiens bedeutendste Soap übt zweifellos eine ähnliche Anziehungskraft aus. Wie ihr nun bewusst wird, ist sie davon ausgegangen, dass die lange Tradition der Trans- und Non-Gender in Indien stets im Verborgenen gepflegt wurde.
    »Ys, er, wie auch immer. Ys ist heute ganz außer sich, wegen einer Einladung zu einer großen Promi-Party.«
    »Yuli. Das russische Model. Auch ich habe mich bemüht eingeladen zu werden, um ihn zu interviewen. Ys.«
    »Also haben Sie sich stattdessen mit Fat Lal begnügt.«
    »Nein, ich interessiere mich wirklich für die Psychologie von Kaih-Schauspielern.« Najia blickt zum Neut hinüber. Ys schaut auf. Für einen Moment treffen sich ihre Blicke. Kein Wiedererkennen, keine Kommunikation. Ys widmet sich wieder sys Arbeit. Sys Hände formen Ziffernskulpturen.
    »Was Fat Lal nicht weiß, ist, dass die Figuren und die Handlung Grundpakete sind«, fährt Satnam fort und führt Najia zwischen den leuchtenden Workstations hindurch. »Wir verkaufen die Franchise-Lizenzen, und verschiedene nationale Sender setzen sie mit ihren eigenen Kaih-Schauspielern um. Ved Prekash wird in Mumbai und Kerala von anderen Schauspielern dargestellt, und da unten sind sie genauso mega wie Fat Lal hier bei uns.«
    »Alles ist nur eine Version«, sagt Najia und versucht den anmutigen Tanz der langen Hände des Neut zu entziffern.
    Draußen im Korridor versucht Satnam zu plaudern. »Und Sie sind wirklich aus Kabul?«
    »Ich habe das Land mit vier Jahren verlassen.«
    »Das ist etwas, worüber ich nicht viel weiß. Ich bin mir sicher, dass es ziemlich ...«
    Najia bleibt plötzlich im Korridor stehen und dreht sich zu Satnam um. Sie ist einen halben Kopf kleiner als er, doch er tritt einen Schritt zurück. Sie greift nach seiner Hand und kritzelt eine UCC auf seine Fingerknöchel.
    »Da, meine Nummer. Rufen Sie an, vielleicht geh ich ran. Vielleicht schlage ich vor, dass wir uns irgendwo treffen, aber wenn wir das tun, entscheide ich, wo es sein wird. Okay? Und nun vielen Dank für die Tour, und ich glaube, ich finde allein nach draußen.«
    Er ist dort und dann, wo und wann er sich mit ihr verabredet hat, als sie mit dem Phatphat den Bordstein ansteuert. Er hat nichts angezogen, an dem sein Herz hängt, wie Najia verlangt hat, aber er trägt immer noch den Trishul um den Hals. In letzter Zeit hat sie diesen Schmuck sehr häufig auf den Straßen an Männern gesehen. Satnam nimmt auf dem Sitz neben ihr Platz, und die kleine Autorikscha schaukelt auf den selbstgebastelten Stoßdämpfern.
    »Ich bestimme, wohin es geht, klar?«, sagt sie. Der Fahrer fädelt sich wieder in den Verkehrsstrom ein.
    »Fahrt ins Blaue, alles klar, kein Problem«, sagt er. »Und, haben Sie Ihren Artikel geschrieben?«
    »Geschrieben, fertig, abgeschickt«, sagt Najia. Sie hat ihn an diesem Nachmittag runtergerissen, auf der Terrasse des Imperial International, der Backpacker-Herberge im Quartier, wo sie sich ein Zimmer genommen hat. Sie wird ausziehen, wenn das Geld vom Magazin gekommen ist. Die Australier gehen ihr auf den Geist, weil sie sich über alles beklagen.
    Die Sache ist die, dass Najia Askarzadah einen festen Freund hat. Er heißt Bernard. Er ist – wie sie auch – einer der »Imperialisten« und im Sabbatjahr, nur dass aus den zwölf Monaten Auszeit irgendwann zwanzig, vierzig, sechzig wurden. Er ist Franzose, arbeitsscheu und übermäßig von seiner Genialität überzeugt, und er hat grässliche Manieren. Najia vermutet, dass er nur in der Herberge wohnt, um an

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