Cyberabad: Roman (German Edition)
vermutlich niemals schaffen würde, ähnlich wie die Absicht, ihr Konto auszugleichen oder Kinder zu bekommen. Carl Walker ließ ihr die Nachrichten und Zusammenfassungen der Gruppe per Mailkopie zukommen. Es war intellektuell faszinierend, und sie bezweifelte nicht, dass die Mitgliedschaft in der Gruppe ihrem Ruf und ihrer Karriere Auftrieb verleihen würden. Das Problem war, dass diese Leute einen quanteninformatischen Ansatz verfolgten und Lisas Gedanken sich auf topologischen Kurven bewegten. Dann schweiften die zweimal im Monat eintreffenden Berichte von Quanteninformatik-Kauderwelsch zu Spekulationen ab, dass Künstliche Intelligenz im Prinzip ein paralleles Universum sein könnte, das sich als Computercode darstellen ließe, so wie die Säulengänge und Chorsänger von Oxford aus Elementarteilchen und DNS bestanden. Das war Lisas Reich. Sie leistete einen Monat lang Widerstand, bis Carl Walker sie an einem Freitag zum Mittagessen einlud, das um Mitternacht in einem jamaikanischen Restaurant endete, wo sie Guinness tranken und zu den Towers of Dub schunkelten. Zwei Tage später saß sie in einem Konferenzraum im fünften Stock und frühstückte Schokoladencroissants und lächelte viel zu oft, während sie die klügsten Köpfe des Landes musterte, die sich Gedanken über die Stellung des Geistes in der Struktur des Universums machten.
Alle Kaffeetassen wurden nachgefüllt, und dann begann der Diskurs. Das Tempo der Diskussion riss Lisa in einem atemlosen Sog mit. Die Protokolle ließen nicht erkennen, in welcher Breite und Differenziertheit die Diskussionen geführt wurden. Sie kam sich wie ein dickes Kind bei einem Basketballspiel vor, das immer zu spät losrennen und fangen wollte, jedoch viel zu langsam war. Als Lisa endlich zu Wort kam, ging sie auf Dinge ein, über die drei Ideen früher gesprochen worden war, und das Klima der Unterhaltung hatte sich längst geändert. Die Sonne wanderte über den Hyde Park hinweg, und Lisa Durnau verfiel in immer tiefere Verzweiflung. Sie waren schnell und schlagfertig und umwerfend, und sie lagen falsch falsch falsch, aber sie schaffte es einfach nicht, es ihnen zu sagen. Sie langweilten sich bei diesem Thema bereits. Ihrer Meinung nach hatten sie alles herausgequetscht, was herauszuquetschen war, und sich anderen Dingen zugewandt. Sie würde ihre Chance verpassen. Es sei denn, sie sagte es ihnen. Sie musste jetzt sprechen. Ihr rechter Unterarm lag flach auf dem Eichentisch. Langsam hob sie die Hand in die Vertikale. Alle Blicke folgten der Bewegung. Plötzlich wurde es erschreckend still.
»Entschuldigung«, sagte Lisa Durnau. »Darf ich etwas dazu sagen? Ich glaube, Sie liegen falsch.« Dann erzählte sie ihnen von der Idee, die Leben, Geist und Intelligenz aus den zugrundeliegenden Eigenschaften des Universums entstehen ließ, auf genauso mechanische Weise wie bei der Materie und den physikalischen Naturkräften. Dass die Cybererde das Modell eines anderen Universums war, dessen Existenz vom Polyversum abhängig war, eines Universums, in dem der Geist kein evolutionäres Phänomen war, sondern etwas Fundamentales wie die Feinstrukturkonstante, wie Omega, wie die Dimensionalität. Ein Universum, das denkt . Wie Gott, sagte sie, und als sie diese Worte sagte, sah sie die Lücken und Mängel und die Dinge, die sie nicht durchdacht hatte, und sie wusste, dass alle Gesichter rund um den Tisch sie ebenfalls sahen. Sie hörte ihre eigene Stimme, einschüchternd und so selbstbewusst, so sehr davon überzeugt, dass sie in Kürze alle Antworten geben konnte. Sie schweifte in ein apologetisches Gemurmel ab.
»Vielen Dank«, sagte Stephen Sanger. »Darin stecken eine ganze Menge interessanter Ideen ...«
Sie ließen ihn nicht aussprechen. Chris Drapier von der Level Three Artificial Intelligence Unit in Cambridge legte als Erster los. Er war der Gröbste und Lauteste und Pedantischste von allen, und Lisa hatte bemerkt, wie er in der Schlange vor dem Kaffeeautomaten ihren Hintern angestarrt hatte. Es gab keinen Grund, irgendeinen Deus ex Machina als Argument einzuführen, wenn die Quanteninformatik das alles wunderbar unter einen Hut brachte. So etwas war Vitalismus – nein, es war sogar Mystizismus . Als Nächste meldete sich Vicki McAndrews vom Imperial zu Wort. Sie nahm einen losen theoretischen Faden des Modells auf, zerrte daran und ließ das gesamte Gebäude einstürzen. Lisa hatte kein topologisches Modell für den Raum und nicht einmal einen Mechanismus zur
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