Cyberabad: Roman (German Edition)
zwölf gewesen. Zwei Jahre jünger als sein Assistent Yogendra. Jeder Schritt ist der einzig mögliche Schritt. Jetzt ist es genauso, als ihm die Eierstöcke durch die Finger rinnen. Ihm wird sich eine Möglichkeit bieten. Dann wird er tun, was zu tun ist. Es wird die einzige Möglichkeit sein, etwas zu tun. Das Einzige, was er nicht tun wird, ist davonlaufen. Dies ist seine Stadt.
Madam Ovary lässt ihren Aktenkoffer zuschnappen.
»Mach dich nützlich. Gib mir dein Feuerzeug.«
Es ist ein altes Modell der US-Armee aus der Zeit, als sie Pakistan besetzt hatten. Als man noch Soldaten schickte, die rauchten, und nicht nur Maschinen. Madame Ovary entzündet das Feuer. Die Papiere verbrennen.
»Ich bin hier jetzt fertig«, sagt sie. »Danke für deine Aufträge. Ich wünsche dir alles Gute, aber versuch niemals, mit mir Kontakt aufzunehmen. Wir werden uns nicht wiedersehen, also verabschieden wir uns für dieses Leben.«
Im Auto schaltet Shiv das Radio an. Geplapper. Das ist alles, was diese DJs tun: plappern. Als wäre die einzige Möglichkeit, sie von Kaihs zu unterscheiden, ein unablässiger Strom von geistigem Dünnschiss, der sich aus ihrem Mund ergießt. Genauso wie der Ganges, ein endloser Fluss aus Scheiße. Du bist ein DJ, also spiel Musik. Die Leute wollen Musik hören, die ihnen ein gutes Gefühl gibt oder sie an jemand Bestimmtes denken lässt oder sie zum Weinen bringt.
Er lehnt sich gegen das Fenster. Im Licht des Armaturenbretts sieht er sein Gesicht im Halbprofil als geisterhafte Erscheinung über den Menschen auf der Straße. Aber es kommt ihm vor, als würde jeder dieser Menschen, auf den sein Bild fällt, einen Teil von ihm übernehmen.
Verdammtes Geplapper.
»Wohin bringst du mich, Junge?«
»Zum Kampf.«
Er hat recht. Letztlich gibt es keine andere Möglichkeit. Aber Shiv gefällt es nicht, dass der Junge ihm so nahe ist, dass er ihn beobachtet und sich Gedanken macht.
Kampf! Kampf! , pulsiert es. Shiv steigt die schmale Treppe hinunter und zupft seine Manschetten zurecht. Der Geruch nach Blut und Geld und unbehandeltem Holz, und unter seinem Brustbein wird Adrenalin freigesetzt. Er liebt diesen Ort mehr als alle anderen Orte der Welt. Er mustert die Klientel. Ein paar neue Gesichter. Das Mädchen am Geländer oben auf der Galerie, die mit der persischen Nase, sie gibt sich alle Mühe, cool zu wirken. Shiv nimmt Blickkontakt auf. Sie hält ihn lange genug. An einem anderen Abend. Jetzt sagt der Ausrufer die nächste Runde an, und Shiv geht hinunter zu den Tischen der Buchmacher. Draußen auf der Sonarpur Road löschen Feuerwehrfahrzeuge einen Brand, der im Aktenschrank eines Restaurants ausgebrochen ist, während etwas mit der Anatomie eines zehnjährigen Jungen und doppelt so großem Appetit seine pummeligen Finger auf die Shakti Yoni seines Mädchens zuschiebt, und eine Frau, deren Tod keinen Profit abwarf, treibt in der Strömung des Ganges dem Moksha entgegen, doch hier sind Menschen und Bewegung und Licht und Tod und Risiko und Furcht und ein Mädchen, das auf dem Sandplatz ihre großartige, silbrig getigerte Kampfkatze vorführt. Shiv zieht seine Krokodillederbrieftasche aus der Jacke, fächert Banknoten auf und legt sie auf den Tisch. Blau. Er sieht immer noch dieses Blau.
»Ein Lakh Rupien«, sagt Bachchan. Mehr ist nicht drin, auch nicht die Hoffnung auf mehr. Bachchans Schreiber zählt die Scheine und notiert den Betrag auf einem Zettel. Shiv nimmt seinen Platz an der Arena ein, und der Ausrufer brüllt Kampf! Kampf! Die Menge tobt und wogt, und Shiv geht mit. Er drückt sich gegen das Holzgeländer, um seinen Ständer zu verbergen. Dann ist er aus dem tiefen Blau raus, als das Fleisch des silbrig getigerten Mikrosäblers im Sand liegt und seine hunderttausend Rupien im Lederbeutel des Satta-Manns verschwinden. Fast hätte er gelacht. Ihm wird die Wahrheit der Sadhus bewusst: Es ist ein Segen, nichts zu besitzen.
Im Wagen bricht das Lachen aus ihm hervor. Shiv schlägt immer wieder den Kopf gegen die Fensterscheibe. Tränen laufen ihm übers Gesicht. Endlich kann er atmen. Endlich kann er sprechen.
»Bring mich zu Murfi«, ordnet Shiv an. Jetzt hat er einen Bärenhunger.
»Womit?«
»Im Handschuhfach ist Kleingeld.«
Die Tea Lane hält ihren Rauch und ihre Miasmen unter kuppelförmigen Schirmen gefangen. Sie dienen keinem meteorologischen Zweck. Murfi behauptet, seiner würde ihn vor dem Mondlicht schützen, das er als verderblich empfindet. Murfi behauptet vieles, nicht
Weitere Kostenlose Bücher