Cyberabad: Roman (German Edition)
Er beugt sich vor. Das Leuchten kommt von einer blauen Line, die scharf wie ein Laserstrahl ist. Vishram erkennt, wie sie sich rund um die Wände des Tokamak windet. Er drückt sein Gesicht an die Scheibe.
»Vorsicht, das gibt Panda-Augen«, sagt Deba. »Der UV-Anteil ist ziemlich hoch.«
»Und das ist ... ein anderes Universum?«
»Es ist ein anderes Raumzeit-Vakuum«, sagt Sonia Yadav. Sie ist Vishram so nahe, dass er ihr Arpège 27 in vollen Zügen genießen kann. »Es ist schon seit einigen Monaten stabil. Stellen Sie es sich als ein anderes Nichts vor, mit einer Vakuumenergie, die höher ist als in unserem Nichts ...«
»Und von dort sickert Energie in unser Universum?«
»Das Level ist nur ein klein wenig höher. Wir holen nicht mehr als zwei Prozent dessen heraus, was wir an Input hineinstecken. Aber wir hoffen, dass wir diesen Raum dazu benutzen können, um Zugang zu einem Raum mit noch höherem Energieniveau zu erhalten und so weiter, die Leiter hinauf, bis wir einen nennenswerten Überschuss erzielen.«
»Und das Licht ...«
»Quantenstrahlung. Die virtuellen Teilchen dieses Universums – wir nennen es Universum zwei-acht-acht – stoßen auf die Gesetze unseres Universums und werden dabei zu Photonen annihiliert.«
Nein, das ist es nicht, denkt Vishram und blickt in das Licht aus einem anderen Raum, einer anderen Zeit. Und du weißt genau, dass es das nicht ist, Sonia Yadav. Es ist das Licht Brahmas.
Dritter Teil – KALKI
16 Shiv
Auch Boyz haben eine Mutter.
Es war fast wie eine Heimkehr, durch die engen Galis zwischen den Hütten zu laufen, sich unter den Stromkabeln zu ducken, mit den guten Schuhen auf den Pfaden aus Pappkarton zu bleiben, denn selbst in der trockensten Trockenzeit waren die Gassen von Chandi Basti nur Matschpisse. Die Wege richteten sich immer wieder neu aus, wenn die Hütten zerfielen oder weitere Einheiten angebaut wurden, aber Shiv orientierte sich an den Wahrzeichen: Lord Ram Unzerstörbare Autoteile, wo die Brüder Shasi und Ashish einen VW in kleinste Teile zerlegten; Mr. Pilais Nähmaschine unter dem Regenschirm; Ambedkar, der Vertreter des Kinderkäufers, der erhöht auf seinen Gabelstaplerpaletten saß und süßen Ganja rauchte. Überall schauten die Leute, traten zur Seite und machten Gesten, um den bösen Blick abzuwehren. Leute starrten ihm nach, weil sie etwas außerhalb ihrer eigenen Existenz gesehen hatten, etwas mit Geschmack und Klasse und tollen Schuhen, etwas, das wirklich etwas war. Etwas, das ein Mann war.
Seine Mutter hatte zu seinem Schatten auf ihrem Türrahmen aufgeblickt. Er drängte ihr Geld auf, ein Bündel schmutziger Rupien. Er hatte ein bisschen Bares dabei von dem Mann, der die Überreste seines Mercedes abgeschleppt hatte. Jetzt war er blank, aber ein Sohn sollte einen Teil dessen, was er seiner Mutter schuldete, zurückzahlen. Mit einem »tss tss« tat sie, als würde sie es ablehnen, aber Shiv sah, wie sie es hinter dem Ziegelstein am Feuerplatz versteckte.
Er ist zurückgekehrt. Es ist nur ein Charpoy in der Ecke, aber es gibt ein Dach und ein Feuer und zweimal täglich Dal und das sichere Wissen, dass niemand und nichts, keine Killermaschine mit Krummsäbeln statt Händen, ihn hier finden wird. Doch auch hier lauert eine Gefahr. Es wäre einfach, in die Gewohnheit zurückzufallen, ein wenig zu essen, ein wenig in der Mittagssonne zu schlafen, ein wenig zu stehlen, ein wenig mit seinen Freunden abzuhängen, über dies und jenes zu sprechen und Mädchen nachzuschauen, und schon ist ein Tag, ein Jahr, ein Leben vorbei. Er muss nachdenken, reden, seine Schulden eintreiben und seine Gefälligkeiten einfordern. Yogendra macht seine Runden in der Basti und der Stadt, hört, was die Straße über Shiv sagt, der ihm den Rücken zugekehrt hat, der noch eine Spur von Ehrgefühl hat.
Und dann ist da noch seine Schwester.
Leela ist eine Warnung davor, dass ein Sohn und Bruder nicht von Diwali bis Guru Poornima warten sollte, um seine Familie wiederzusehen. Was einmal eine nett aussehende, stille, schüchterne, aber vernünftige Siebzehnjährige gewesen war – die schon verheiratet sein könnte –, ist zu einer Bibelchristin geworden. Eines Abends ging sie mit einer Freundin zu einer religiösen Veranstaltung, die von einem Kabelsender organisiert wurde, und kehrte wiedergeboren zurück. Es genügt nicht, dass sie den Herrn Jesus Christus gefunden hat. Alle anderen sollten ihn auch finden. Insbesondere der böööseste ihrer bööösen Brüder.
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