CyberCrime
eine Karriere, die schließlich mit einer strafrechtlichen Verurteilung geendet hatte. Deshalb verbrannte Poulsen nach dem Lesen überhaupt nichts. Am Montag, dem 13. Oktober, veröffentlichte er seine Geschichte. Master Splyntr war tot.
Keith Mularski war wütend, als Wired seinen Namen publizierte – das Vertrauen, das er zu vielen Cardern aufgebaut hatte, war zerstört. Ein paar Wochen zuvor hatte er das DarkMarket-Forum geschlossen, weil JiLsis Registrierung des Domainnamens auslief. Hätte Master Splyntr versucht, ihn erneut zu registrieren, ein neugieriger Hacker hätte die Gelegenheit nutzen können, um seine Identität offenzulegen.
Die Operation DarkMarket war die erste Phase in einem langfristigen Plan der Polizeibehörden, die Welt der Cyberkriminalität zu unterwandern. In den 15 Monaten bevor Mularskis Name in Wired veröffentlicht wurde, hatten das FBI , die SOCA und andere Polizeibehörden sorgfältig hier und da einzelne Personen herausgegriffen. Im Gegensatz zu der Taktik, die der Secret Service 2004 bei Shadowcrew angewandt hatte, war man diesmal zu der Entscheidung gelangt, nicht in einer groß angelegten Aktion gegen alle Mitglieder von DarkMarket vorzugehen. Master Splyntr hatte die Absicht gehabt, ausgerüstet mit seiner großen Datenbank der Carder und ihrer Aktivitäten und mit einer noch größeren Reputation zurückzukehren. Dieser Plan war jetzt wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.
Mularskis Bemühungen waren nicht vergeblich gewesen – in einem bemerkenswerten Fall grenzüberschreitender Kooperation zwischen ganz unterschiedlichen Polizeikräften war ihnen Cha 0 ins Netz gegangen, einer der größten Fische in der Welt der Carder. Dutzende andere hatte man festgenommen, manche von ihnen waren bereits verurteilt, und die meisten warteten auf ihren Prozess.
Aber weder Agent Mularski noch irgendein anderer konnte Dietmar Lingel einen Vorwurf machen. Im Gegensatz zu den Behauptungen des Beamten aus dem Dezernat 3.5 hatte er nicht dafür gesorgt, dass die Identität von Master Splyntr in den Gerichtsunterlagen offengelegt wurde.
Dieses zweifelhafte Verdienst ging auf das Konto des Kommissars Frank Eißmann, Lingels Vorgesetzten. Dieser räumte später ein, er habe »einen großen Fehler gemacht«, als er das Dokument als Teil der polizeilichen Ermittlungsergebnisse gegen Matrix an den Staatsanwalt weitergegeben hatte. Eißmanns Fehler hatte dazu geführt, dass Kai Laufen Mularski identifizieren konnte, und das wiederum löste den Zusammenbruch der langfristigen Operation gegen die Carder aus.
Dietmar Lingel blieb dennoch suspendiert und hörte von seinen Arbeitgebern nichts mehr, bis das Dezernat 3.5 ihn im September 2010 über die Anklageerhebung in Kenntnis setzte. Die nicht belegte Behauptung, Lingel habe Mularskis Namen absichtlich ausgeplaudert, hatte die Staatsanwaltschaft fallengelassen. Stattdessen wurde wieder der ursprüngliche Vorwurf erhoben: Er habe einem Verdächtigen, der unter seiner Überwachung stand, einen Tipp gegeben.
Lingel bestritt die Vorwürfe, und im weiteren Verlauf des gleichen Monats begann in Stuttgart der längste Prozess, der jemals im Zusammenhang mit DarkMarket geführt wurde. Paradoxerweise war daran kein echter Cyberkrimineller beteiligt (abgesehen davon, dass Matrix 001 und Fake als Zeugen aussagten), sondern er wurde von der baden-württembergischen Polizei gegen einen ihrer eigenen Leute geführt. Das faszinierende Ereignis fand vor einer Handvoll Zuhörer in einem sauberen, kleinen, anonymen Gerichtssaal in Stuttgarts Stadtteil Bad Cannstatt statt. Fast ein Dutzend Mitspieler in dem Drama machten erstaunliche Aussagen: Sie offenbarten, wie viele Irrtümer und unglückliche Zufälle die Polizeioperation sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten belastet hatten.
38 Wer bist du?
Istanbul, Oktober 2008
Çağatay Evyapan wirkte im Gefängnis völlig entspannt. Hier und da tuschelte jemand von der Istanbuler Polizei, ein Oberpolizist werde aus Ankara einfliegen und das wichtigste Verhör von Çağatay leiten. In der Türkei darf jemand, der im Verdacht der organisierten Kriminalität steht, höchstens vier Tage festgehalten werden. Der Gefangene war gespannt, ob das hohe Tier aus der Hauptstadt tatsächlich auftauchen würde.
Schließlich traf Inspektor Şen ein. Er wollte nur eines wissen.
»Wer ist das kleine Vögelchen? Mit wem reden Sie da drinnen? Mehr will ich gar nicht von Ihnen wissen.«
Der Häftling zögerte und blickte
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