CyberCrime
gewesen.
Die Tatsache, dass das Gebilde Cha 0 so gut organisiert war, gibt einen nachdrücklichen Hinweis auf etwas anderes. Die traditionellen Verbrecherorganisationen »neigten bis vor Kurzem dazu, Cyberkriminelle als Bürger zweiter Klasse zu betrachten«, wie ein führender Beamter der SOCA es formulierte. Seit es jedoch DarkMarket gab, beobachten Polizeikräfte auf der ganzen Welt, wie die traditionellen Gruppen des organisierten Verbrechens auch bei Ermittlungen wegen Cyberkriminalität immer wieder überraschend auf der Bildfläche erscheinen.
Innerhalb von DarkMarket selbst gab es drei gut abgegrenzte Personenkreise, die an dem Projekt beteiligt waren. Der erste waren die Administratoren, Moderatoren und andere, die auf der Site leitende, »bürokratische« Positionen innehatten. Dabei handelte es sich meist um Männer mit fortgeschrittenen Hackerfähigkeiten und sicheren, umfassenden Computerkenntnissen. Außerdem verdienten sie mit Ausnahme von Cha 0 entweder nicht viel Geld, oder sie arbeiteten unmittelbar als Polizeiagenten oder verdeckte Informanten.
Außerhalb davon bestand der zweite Kreis aus hoch qualifizierten, erfahrenen Verbrechern, die wie Freddybb und RedBrigade weitgehend allein arbeiteten. Sie verfügten über unterschiedlich gut entwickelte Computerkenntnisse, und wenn sie selbst ein typisches Problem nicht lösen konnten, kannten sie immer jemanden, der dazu in der Lage war. Diese Personen waren in Foren wie DarkMarket weniger sichtbar als die Administratoren und ihre Mitarbeiter. Sie verfolgten das Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen und dabei möglichst wenig aufzufallen, aber auch sie beteiligten sich gelegentlich am Geplänkel und Klatsch über die Gemeinschaft der Carder als Ganzes.
Der dritte Kreis schließlich umfasste hoch professionelle Verbrecher, die praktisch unsichtbar blieben – der Polizei wie auch ihren Carderkollegen waren sie höchstens durch Mythen und ihren Ruf bekannt. Diese Personen standen sogar noch über den wichtigen Kreditkarten- und Schadsoftware-Großhändlern wie dem Ukrainer Maksik, den die türkische Cyberpolizei 2007 in Antalya festnahm. Der berühmteste (der vermutlich auch Maksik mit einem großen Teil seines Materials belieferte) ist ein Russe, der einfach unter dem Namen Sim bekannt ist – dahinter versteckt sich nach den Vermutungen der Polizei in Wirklichkeit ein anderes sehr leistungsfähiges Syndikat. Diese Personen treten nie aus dem Schatten heraus.
Cha 0 war faszinierend und wichtig, weil sich hier eine Organisation, die dem traditionellen organisierten Verbrechen ähnelte, zum ersten Mal in großem Umfang im Internet betätigte und sich darum bemühte, die Funktion einer Website wie DarkMarket zu beeinflussen. Es war der erste stichhaltige Beweis, dass die Cyberkriminalität nicht mehr nur die Domäne von Bürgern zweiter Klasse war – sie lockte jetzt auch Gestalten mit mehr Format an.
Das organisierte Verbrechen spielt in der Türkei traditionell eine gewaltige Rolle. Türkische Banden beherrschen beispielsweise in Verbindung mit Kurden und einigen Gruppen vom Balkan den Heroin-Großhandel in ganz Westeuropa.
Ende 1996 war ein gepanzerter Mercedes in der Kleinstadt Susurluk in einen spektakulären Verkehrsunfall verwickelt. Unter den Toten waren der Chef der Polizeiakademie und der Anführer der rechtsgerichteten Terrorgruppierung »Graue Wölfe«, der nebenbei auch als einer der größten europäischen Heroinschmuggler und Mörder ganz oben auf der Fahndungsliste von Interpol stand. Der Einzige, der den Unfall überlebte, war ein Abgeordneter der damaligen Regierungspartei.
Aufgrund dieses Ereignisses konnten Journalisten und Oppositionspolitiker jenes Netz der gewalttätigen Täuschung entwirren, das den Tiefen Staat der Türkei mit den einflussreichsten Mitgliedern krimineller Organisationen verband. Über Jahre hinweg hatten sie sich gegenseitig ihrer Freundschaft, ihrer Gastfreundschaft und ihres Schutzes erfreut. Die Berichte schockierten nicht nur die normalen Türken, sondern wurden auch zum Ansporn für die aufstrebenden Kräfte in der türkischen Politik, darunter jene Organisation, die später zur AKP werden sollte und den Kampf gegen Verbrechen und Korruption zu einem zentralen Bestandteil ihrer politischen Ziele machte.
Seit jener Zeit hat sich in der Türkei einiges geändert. Aber wenn die Wurzeln von Korruption und organisiertem Verbrechen so tief reichen wie in der Türkei der 1980er und 1990er Jahre, müssen
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