CyberCrime
hatten die Organisatoren etwa drei Dutzend handverlesene Delegierte ausgewählt. Wer das Glück gehabt hatte, dass der Daumen nach oben ging, wusste genau, was es bedeutete: Schon die Einladung war ein gewaltiger Schub für den guten Ruf in der wild-hierarchischen Welt der Internetkriminellen.
Um die Polizei nicht auf die richtige Spur zu bringen, gaben die Organisatoren ursprünglich bekannt, sie würden das Event auf mehreren Luxusjachten abhalten, die an der türkischen Schwarzmeerküste vertäut lagen. Aber das war nur eine Finte. Wo sonst hätte man die weltweit erste Konferenz für Cyberkriminelle abhalten können, wenn nicht in Odessa – der legendären ukrainischen Stadt der Schurken?
Der Zar, Stalin und Hitler – sie alle hatten mit ihren bewährten Methoden versucht, diese wilde Bestie zu zähmen, aber keiner von ihnen konnte die hartnäckigste Verbrecherbruderschaft Osteuropas zerstören. »Wenn man die Gangster von Odessa und ihr Leben nicht versteht, ist die Geschichte dieser Stadt einfach unbegreiflich«, schrieb ein Chronist über seine Heimatstadt.
Für den größten Teil Osteuropas war der brutale Gangsterkapitalismus, der in den 1990er Jahren auf den Zusammenbruch des Kommunismus folgte, ein echter Schock. In Odessa dagegen wusste man, was bevorstand. Die Bewohner der Stadt hatten keine andere Wahl, als sich auf die neue Ära einzustellen – und, so kann man sagen, das taten sie mit einem gewissen Elan. Das Rotlicht ließ über Nacht die roten Sterne verlöschen. Hinter dem Primorskaja-Boulevard schossen schmuddelige Spielsalons wie Unkraut aus dem Boden, und nach 1989 dauerte es nicht lange, bis die Restaurants und Saunen zum Schauplatz von Völlerei und Blutvergießen wurden.
Weiter vom Stadtzentrum entfernt, in den Wohnvierteln, wurden Drogen zur Währung der Wahl. Mittellose junge Leute gingen dazu über, sich Schüsse aus Boltuschka zu setzen, einer hausgemachten Amphetaminmischung, die Narben, geistige Schädigungen oder gleich den Tod herbeiführte.
Killer und Banden aus weit entfernten Regionen wie Tschetschenien und Moskau kämpften mit den örtlichen Robin Hoods um die Kontrolle über die Stadt – Odessa gehörte zwar theoretisch zu der jetzt unabhängigen Ukraine, man sprach aber ausschließlich Russisch, und – was noch wichtiger war – es war der einzige Warmwasserhafen, über den Russland seine Gas- und Ölexporte abwickeln konnte.
Hyperinflation und Nationalismus zerstörten den Wert des Rubel, des Karbowanez, der Hrywnja und alles anderen, was die Regierung irgendwann einmal zum »richtigen« Geld erklärte. Echte Stabilität bot nur der Dollar der Yankees.
Für die meisten normalen Menschen ging es in Odessa während der 1990er Jahre vor allem um zweierlei: Überleben und Dollars. Niemand kümmerte sich darum oder hatte etwas dagegen, wenn man das Erste schaffte und sich das Zweite verschaffte. Man bewunderte sogar diejenigen, die beides erreicht hatten; allerdings war plötzlicher Reichtum keine Garantie für ein langes Leben.
Wer konnte es in dieser Atmosphäre dem dreizehnjährigen Dimitrij Golubow zum Vorwurf machen, dass er Fahrzeug-Zulassungspapiere und Führerscheine mit der gefälschten Unterschrift des Leiters der städtischen Verkehrsbehörde verkaufte? Wenn Geschäftsleute bereit waren, dafür zu bezahlen, musste der Handel doch sicher einen echten Wert haben, oder?
So weit, so Odessa. Aber der junge Dimitrij besaß etwas, das ihn in eine andere Welt versetzte, weg vom traditionellen städtischen Bandenbetrieb mit Schutzgeldern, Bordellen, Öl und Kaviar. Statt ein Messer herumzuschleppen, konnte er sich von der Straße in verrauchte dunkle Kellerräume zurückziehen, in denen Computerspiele wie Street Fighter, Pacman und der russische Klassiker Tetris die Gehirne von Teenagern erweichten. In dieser Unterweltkultur ging das einzige Licht von sanft gefärbter Neonreklame und flackernden PC -Bildschirmen aus. Zigaretten und Coca-Cola waren so allgegenwärtig, als seien sie die einzige Nahrung, die einer alten Geek-Legende zufolge erlaubt war.
Dimitrij mochte die Spiele so gern wie alle anderen, noch lieber war es ihm jedoch, die Welt aus dem Komfort der Internetcafés von Odessa heraus zu erkunden. Der junge Golubow hatte aber nicht nur Spaß daran, auf den Websites weit entfernter Länder zu surfen, sondern er wollte auch in sie eindringen und ihr Innenleben kennenlernen.
Im Jahr 1999, als er 16 war, hatten Visa und Mastercard die Nutzung ihrer Karten auf
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