CyberCrime
wichtigstes Argument: Konkurrenz belebte in diesem Fall nicht das Geschäft, sondern sie führte nur zu Verbitterung.
Im September 2006 trieben die erbarmungslosen Angriffe Renu zur Verzweiflung. Seine Crack-Abhängigkeit nahm in dieser Zeit zu, eine gefährliche Entwicklung sowohl für seine eigene Sicherheit – von seiner Gesundheit ganz zu schweigen – als auch für die Sicherheit von DarkMarket als Ganzem.
Er entschloss sich, über die Angriffe auf DarkMarket mit Master Splyntr zu sprechen, der zu jener Zeit Moderator war und damit zwei Hierarchiestufen unter JiLsi stand, dem Hauptadministrator. Master Splyntr vertrat schon lange die Ansicht, JiLsi solle ihm, Kaminski, die Kontrolle über die Server übertragen. Er verfüge über viel bessere Sicherheitseinrichtungen, und wenn er die Server übernähme, könne das auch den Druck von JiLsi nehmen.
Master Splyntr war für JiLsi die zweite Wahl. Zuerst hatte er Cha 0 gefragt, aber der Türke hatte das Angebot abgelehnt – er hatte zweifellos keine Ambitionen auf die undankbare Arbeit, die mit der Instandhaltung der Server verbunden war. Da sich niemand anderes engagieren wollte, glaubte JiLsi nun keine andere Wahl mehr zu haben, als Master Splyntr einzuladen.
Den Anruf erhielt Kaminski eines Abends Anfang Oktober 2006 gegen 23.30 Uhr. »Meine Server stehen bereit, JiLsi«, sagte er. JiLsi zögerte nicht länger: Er war froh, dass er die Verantwortung für seine angreifbaren Server loswurde. »Okay«, sagte er. »Ziehen wir um!«
Vielleicht aus Angst vor Irritationen hatte JiLsi die anderen Administratoren nicht gefragt, bevor er die Kontrolle über den Server an Splyntr übergab. Als es dann so weit war, hatte aber offenbar niemand Einwände. Sie ließen sich sehr schnell davon überzeugen, dass es eine kluge Entscheidung war – wie sich herausstellte, betrieb Splyntr die Server wesentlich effizienter als JiLsi.
Kaminski hielt Wort: Seine Server waren leistungsfähig und sicher. Und nicht nur das: Wenn andere Hacker, Polizeibehörden oder Geheimdienste herauszufinden versuchten, wo die DarkMarket-Server tatsächlich standen, konnten sie die Spur nie weiter zurückverfolgen als bis zu einem anonymen Server in Singapur.
Master Splyntr wurde zum Administrator ernannt. Der Traffic auf der Site nahm wieder zu. Jedes Mal, wenn Iceman bei DarkMarket eingedrungen war und die Datenbank zerstört hatte, spielte Master Splyntr eine Sicherungskopie ein, und innerhalb von 24 Stunden lief die Site wieder. Und obwohl Iceman ohne Frage der begabteste Techniker in dem ganzen Spiel war, stieß seine Arroganz Hunderte von Cardern ab. DarkMarket wurde immer stärker, und nichts, so schien es, konnte seinen Aufstieg an die Spitze verhindern. Aber Iceman hatte noch einen letzten Trumpf im Ärmel.
18 Bedenkenträger
Icemans äußere Ruhe täuschte über abgrundtiefe Wut hinweg. Er hatte das Zeitgefühl verloren. Es hätte drei Uhr morgens sein können oder auch drei Uhr nachmittags. Wenn er mit einem größeren Hackerangriff beschäftigt war, der oftmals viele Stunden dauerte, verlor er leicht die Orientierung. Für besonders besessene Hacker lösen sich Zeit und Ort auf. Wenn die Wut Iceman überkam, gab es keine Realität mehr – dann zählten nur die Anweisungen von Nemesis, der Göttin der Vergeltung.
Sie erschien ihm jetzt in mehreren Formen. Die erste war El Mariachi, ein verbitterter Carder, dem Iceman seine Website The Grifters zerstört hatte. El Mariachi rief von den digitalen Hügeln, er habe unbestreitbare Beweise dafür, dass Iceman in Wirklichkeit mit dem FBI kollaborierte. Der Vorwurf wurde von Lord Cyric wiederholt, El Mariachis Schoßhund, der ständig quer durch die Carderforen kläffte und heulte. Wie viele andere, so verabscheute auch Iceman Lord Cyric.
Hasserfüllte Anschuldigungen wurden von einer Carding-Site zur anderen geschleudert. Es war die Entsprechung zu einem Krieg zwischen verschiedenen Mafiaclans, nur mit dem Unterschied, dass niemand genau wusste, wer zu welcher Familie gehörte, wer ein Informant und wer ein Polizist war. Es war das reine Chaos.
Als Iceman dann aber etwas entdeckte, was er damals für die Wahrheit hielt, saß er wie vor den Kopf gestoßen in seiner komfortablen Wohnung im Zentrum von San Francisco. Die Wohnung wurde von Jeffrey Normington und einem anderen Partner bezahlt, die im Gegenzug regelmäßig gestohlene Kreditkartennummern erhielten. Hier, zwischen vertrockneten Pizzarändern und leeren Cola-Dosen, beschäftigte
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