CyberCrime
eingeschleust worden war, mussten die Behörden einräumen, dass es im Betrieb einer höchst sensiblen Anlage eine größere Störung gegeben hatte. Dies hätte zu einer Explosion führen können. Die Existenz des Virus beweist, dass die Weltuntergangsszenarien, die von sogenannten Cyberkriegern gezeichnet werden, nicht mehr nur theoretische Möglichkeiten darstellen. Der Angriff auf Estland war zu jener Zeit zwar schwerwiegend, aber im Vergleich zu dem, was Stuxnet vorausahnen lässt, entsprach er nur dem Aufwärmkicken vor einem Fußballmatch.
Die Cyberkrieger werden auch als Cyber-Securokraten bezeichnet – sie sind die Propheten, die uns davor warnen, der Himmel werde uns auf den Kopf fallen. Zu den wortgewandtesten Vertretern dieser Gruppe gehört Richard Clarke. In seinem Buch World Wide War: Angriff aus dem Internet beschreibt er folgendes Szenario:
Der Staatssekretär für Heimatschutz, der nicht weiß, was auf der anderen Seite des Flusses im Pentagon geschieht, ruft im Weißen Haus an und verlangt Sie sofort zu sprechen. Die FEMA , die Bundesbehörde für Katastrophenhilfe, hat ihn darüber informiert, dass ihre Regionalbüros in Philadelphia und Denton (Texas) Feuer in Raffinerien und Explosionen in Houston und Philadelphia gemeldet haben; aus mehreren Chemiefabriken in New Jersey und Delaware steigen tödliche Chlorgaswolken auf …
Im nationalen Luftraumkontrollzentrum sind sämtliche Systeme ausgefallen …
Die meisten Securokraten vertreten überdies die Ansicht, man könne ein digitales Pearl Harbour oder Cybergeddon nur dadurch verhindern, dass man Geld in ihre Denkfabriken und Unternehmen steckt, um die wissenschaftliche Erforschung der Gefahren zu beschleunigen.
Tatsächlich geschieht das bereits. Nach den Ereignissen in Estland verstärkten sich die Bestrebungen zur Militarisierung des Cyberspace. In der NATO einigte man sich 2005 zunächst darauf, in Tallinn das hochtrabend benannte Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence einzurichten. Der Gedanke an ein Institut zur Erforschung des Cyberkrieges wurde in den Mitgliedsstaaten zwar begeistert aufgenommen, aber Geld legten sie (mit der verständlichen Ausnahme des Gastgeberlandes Estland) nur zögernd auf den Tisch. Das Projekt wurde zwar nicht eingemottet, aber es kostete große Mühe, es über das Stadium von Absichtserklärungen voranzutreiben.
»Sobald sich der Angriff ereignet hatte, änderte sich aber die Atmosphäre, und wir bekamen sowohl aus Brüssel als auch aus Washington echte Unterstützung«, stellt Peeter Lorents fest, ein angesehener estnischer Mathematiker und Mitbegründer des Zentrums. »Als ich von dem Angriff hörte, habe ich sogar als Erstes in Frankreich angerufen und zwei Kisten Cristal-Champagner an Herrn Putin liefern lassen. Dadurch dass die Russen diesen Angriff gestartet haben, haben sie die Zukunft unseres Zentrums gesichert.«
In Washington läuteten mit Sicherheit die Alarmglocken. Unmittelbar vor und nach den Vorgängen in Estland ereigneten sich mehrere Vorfälle, und all dies überzeugte Anfang 2009 die neue Obama-Regierung, dass die Cyber-Abwehr um jeden Preis gestärkt werden musste. Insbesondere bei der National Security Agency ( NSA ), der gewaltigen US -amerikanischen Organisation für weltweite Überwachung, wurde wenige Monate nach den Vorgängen in Estland klar, wie schlimm ein Ereignis aus dem April 2001 in Wirklichkeit gewesen war: Damals hatte man ein Aufklärungsflugzeug des Typs EP -3E Aries an die chinesische Luftwaffe verloren. Dem Piloten war es zwar gelungen, vor dem Absturz noch die Software zu zerstören, die Hardware aber war intakt, und nachdem sie den Chinesen in die Hände gefallen war, ging man dort sofort daran, die aktuelle Technik zu analysieren und mit ihrer Hilfe verschlüsselte Kommunikation zu überwachen und zu entschlüsseln. Kurz nachdem Obama zum Präsidenten gewählt worden war, testeten die Chinesen zum ersten Mal ihr neues Spielzeug, und die NSA beobachtete, dass sie nun in der Lage waren, in die Kommunikation einzugreifen. Es schien, als wollten die Chinesen Washington klarmachen, dass sie die Rätsel der neuen Technologie gelöst hatten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten ließ es nicht bei ihrer Unterstützung des Zentrums für Cyberabwehr in Tallinn bewenden, wo seit 2008 wichtige Forschungsarbeiten laufen, darunter auch komplizierte Cyber-Militärmanöver. Computernetzwerke waren zu einem so lebenswichtigen Bestandteil für die Infrastruktur des
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