Cyberspace
genauer hinschaute und ihr Gesicht studierte, schauderte er. Ein Tiergesicht. Ein hübsches Gesicht, aber einfach, niedlich, zweidimensional. Wenn sie merkt, daß du sie anstarrst, dachte Coretti, dann kriegst du ein Lächeln von ihr, ein verächtliches Grinsen - oder was immer du erwartest.
»Darf ich ... hm ... einen Drink spendieren?« platzte Coretti heraus.
In solchen Momenten war Coretti von einem pedantisch steifen, schulmeisterlichen Linguistik-Tick besessen. +P Er zuckte zusammen. +P
»Du möchtest mir ... hm ... einen Drink spendieren? Das ist aber nett von dir«, erwiderte sie zu seiner Überraschung. »Sehr nett.« Er registrierte nur entfernt, daß ihre Antwort nicht weniger steif und unsicher ausfiel. . »Ein Tom Collins«, fügte sie hinzu, »wäre bei der Gelegenheit nett.«
Bei der Gelegenheit? Nett? Nervös bestellte Coretti zwei Drinks und bezahlte.
Eine kräftige Frau in Jeans und besticktem Cowboyhemd baute sich neben ihm an der Bar auf und verlangte Wechselgeld vom Barkeeper. »Dank dir«, sagte sie. Dann stapfte sie zur Jukebox und ließ Conway und Lorettas >You're the reason our kids are ugly< spielen. Coretti wandte sich an die Frau in Grün und fragte zurückhaltend: »Liebst du Country-and-Western-Musik?« : /LHEVW
GX " Er stöhnte insgeheim über den Ausdruck und rang sich ein Lächeln ab.
»Ja sicher«, antwortete sie. Ein hauchfeiner Mißklang verlieh ihrer Stimme Schärfe. »Klar doch.«
Das Cowgirl setzte sich neben ihn und fragte zwinkernd: »Nervt dich der Macker an?«
Und die tieräugige Lady in Grün erwiderte: »Oh, gar nicht, Süße. Ich steh auf ihn.« Und sie lachte. Lachte in passender Dosis. Der Dialektologe in Coretti wurde hellhörig; ein fliegender Wechsel in Ausdruck und Sprache. Schauspielerin? Begnadete Mime? Das Wort !PLPHWLVFK
drängte sich ihm auf, aber er schob es beiseite, um ihr Spiegelbild zu studieren; die
Flaschenreihen bedeckten ihr Dekollete wie ein gläsernes Gewand.
»Ich heiße Coretti«, sagte er, wobei sein verbaler Poltergeist sich plötzlich in einen absolut unüberzeugenden Macho-Ton verwandelte. »Michael Coretti.«
»Freut mich«, sagte sie so leise, daß die andre Frau es nicht hören konnte; wieder war sie in eine lahme Emily Post-Parodie geschlüpft.
»Conway und Loretta«, sagte das Cowgirl, an niemand Bestimmtes gerichtet.
»Antoinette«, sagte die Frau in Grün und hielt den Kopf schief. Sie trank aus, tat so, als blicke sie auf die Uhr, bedankte sich viel zu scheißfreundlich für den Drink und ging.
Zehn Minuten später folgte Coretti ihr durch die Third Avenue. Er war noch nie in seinem Leben jemandem nachgegangen; er hatte Angst und fand es zugleich aufregend. Ein Dutzend Meter
erschien ihm als diskreter Abstand, aber was sollte er tun, falls sie über die Schulter
zurückblickte?
Die Third Avenue ist keine dunkle Straße, und es geschah mitten unter einer Straßenlampe, daß sie sich wie im Rampenlicht zu verwandeln begann. Die Straße war menschenleer.
Sie wollte die Straße überqueren. Kaum war sie vom Gehsteig auf die Fahrbahn getreten, fing es an. Es fing an mit bunten Tupfern im Haar, die er zunächst auf Lichtreflexe zurückführte. Aber da war keine Neonreklame, von der die Farbkleckse hätten stammen können, die schillernd
ineinander verliefen wie ein Ölfilm. Dann verschwanden die Farben, und binnen dreier Sekunden war sie platinblond. Er hielt es für eine Lichtspiegelung, bis ihr Kleid anfing, sich zu verzerren und wie Vakuumfolie zu schrumpfen. Teile fielen ganz ab und lagen gekringelt am Boden wie die Haut eines Fabeltiers. Als Coretti vorbeiging, schäumten sie grün und lösten sich sprudelnd in der Luft auf. Er blickte wieder auf zu ihr, und das Kleid war ein ganz anderes grünes Kleid aus schimmerndem Satin. Ihre Schuhe hatten sich ebenfalls verwandelt. Ihre Schultern bedeckten nur zwei dünne Träger, die sich auf dem Rücken überkreuzten. Sie hatte jetzt eine kurze
Igelfrisur.
Wie ihm nun bewußt wurde, hatte er sich gegen die Panzerglasscheibe einer Juwelierauslage gelehnt und schnaufte keuchend; der Atem dampfte in der Herbstnacht. Zwei Häuserblöcke
weiter dröhnte aus einer Disco dumpfer Beat. Während sie sich der Disco näherte, stimmte sie in ihren Bewegungen unmerklich in den neuen Rhythmus ein - ihr Hüftschwung änderte sich und
ihr klappernder Stöckelschuh-gang. Der Türsteher ließ sie mit einem beiläufigen Nicken hinein.
Er hielt Coretti auf und starrte auf seinen
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