Cyberspace
Führerschein und beäugte seinen Dufflecoat. Coretti schaute ungeduldig ins bunte Licht über einer milchglasfarbenen Acryltreppe hinter dem
Türsteher. Dort im Lichterstakkato und Getöse war sie verschwunden.
Unwillig ließ der Türsteher ihn passieren, und er stürmte die Treppe hinauf und störte mit seiner Hektik die Lichter unter den transparenten Kunststoffstufen.
Coretti war noch nie in einer Disco gewesen; er fand sich in einer Umgebung wieder, die auf Unterhaltung total getrimmt war. Er watete nervös durchs Gewühl und den modischen Aufzug
und den urbanen Leierkastensound aus der riesigen Anlage. Er suchte sie fast blind auf einer überfüllten Tanzfläche, wo man im Laserblitz posierte.
Und fand sie an der Bar, wo sie an einem trüben Longdrink süffelte und einem jungen Typ
zuhörte, der ein weites helles Seidenhemd und eine knallenge schwarze Hose trug. Sie nickte in - wie Coretti fand -angemessenen Abständen. Coretti bestellte, indem er auf eine
Bourbonflasche deutete. Sie leerte fünf hohe Gläser und folgte dem Knaben dann auf die
Tanzfläche.
Sie bewegte sich in einer Reihe von Posen und hielt den Takt zur Musik; sie vollzog das ganze vorgegebene Programm; sie tanzte graziös, aber nicht kunstvoll, den andern total angepaßt.
Immer total angepaßt. Ihr Partner tanzte mechanisch und quälte sich sichtlich durchs Ritual.
Als der Tanz zu Ende war, wandte sie sich plötzlich um und tauchte im Gewühl unter, wo sie mit der wogenden Menge zu verschmelzen schien.
Coretti stürzte sich ins Gedränge und ließ sie nicht aus den Augen: So war er der einzige, der die Verwandlung verfolgte. Bis sie zur Treppe kam, war ihr Haar kastanienbraun und trug sie ein langes blaues Kleid. Eine weiße Blüte schmückte hinterm rechten Ohr ihr Haar, das nun länger und glatter war. Ihr Busen war etwas fülliger und die Hüften eine Spur voller geworden. Sie eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter, und da bekam er Angst um sie. Die vielen Drinks.
Aber der Alkohol schien nicht die geringste Wirkung auf sie zu haben.
Coretti, der sie keinen Moment aus den Augen ließ, folgte ihr; sein Herzschlag wurde schneller als der dumpfe Disco-Beat im Rücken. Er rechnete damit, daß sie jeden Moment sich umblicken, ihn sehen und um Hilfe rufen würde.
Zwei Blöcke weiter in der Third Avenue bog sie ins Lothario's ab. An ihrem Gang war nun etwas anders. Das Lothario's war ein stilles Lokal aus mehreren zusammenhängenden Räumen mit
Farnampeln und Art Deco-Spiegeln. An der Decke hingen abwechselnd falsche Tiffany-Lampen
und Ventilatoren mit Holzflügeln, die sich zu langsam drehten, um den Tabakdunst
aufzuwirbeln, der sich durch das stets verhaltene Stimmengewirr schlängelte. Nach der Disco wirkte das Lothario's familiär und erholsam. Ein Jazzpianist mit Nadelstreifenhemd und loser Krawatte spielte leise gegen das Geplauder und Gelächter von den ein Dutzend Tischen an.
Sie war am Tresen; die Barhocker waren nur halb besetzt, aber Coretti entschied sich für einen Wandtisch im Schatten einer Topfpalme und bestellte einen Bourbon.
Er kippte den Bourbon und bestellte einen zweiten. Heute spürte er den Alkohol nicht recht.
Sie saß neben einem jungen Typ, wieder so'nem Typ mit leeren, ebenmäßigen Zügen. Er trug ein gelbes Poloshirt und eine faltenlose Jeans. Sie berührten sich leicht mit den Hüften. Obwohl sie offenbar nicht miteinander sprachen, hatte Coretti den Eindruck, daß irgendein Austausch
zwischen ihnen statt-fand. Sie lehnten sich leicht aneinander und waren still. Coretti fühlte sich komisch. Er ging auf die Toilette und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Auf dem
Rückweg richtete er es so ein, daß er keinen Meter an ihnen vorbeiging. Ihre Lippen bewegten sich nicht, bis er in Hörweite war.
Sie tauschten Alltägliches aus.
»... hab seine früheren Filme gesehn, aber ...«
»Aber er ist recht bequem, meinst du nicht auch?«
»Sicher, aber in dem Sinn, daß ...«
Und zum ersten Mal wußte Coretti, was sie waren, sein mußten. Sie waren von der Sorte, die man in Bars sieht, die dort anscheinend großgeworden sind, die dort echt zu Hause sind. Keine Säufer, sondern menschliches Inventar, Funktionen der Bar. Zubehör.
Irgend was in ihm wünschte sich eine Konfrontation. Er kam an seinen Tisch, aber konnte sich einfach nicht hinsetzen. Er drehte sich um, holte tief Luft und ging stocksteif zur Bar. Er wollte ihr auf die glatte Schulter tippen, um sie zu fragen, wer
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