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Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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nicht ausgetrocknet, und mit einem Blick in den
    Badezimmerspiegel stellte er fest, daß seine Augen nicht gerötet waren.
    Am Nachmittag legte er sich aufs Ohr und träumte von Leuten mit Schafsgesichtern im Spiegel hinter Flaschenreihen.
    Am Abend ging er zum Essen - allein - und brachte keinen Bissen hinunter. Irgendwie starrte ihn das Essen im Teller an. Er stocherte darin herum, damit es nicht so aussähe, als hätte er es nicht mal angerührt, zahlte dann und ging in eine Bar. Und weiter in die nächste. Und die übernächste -
    auf der Suche nach ihr. Er verwendete jetzt seine Credit Card, obwohl er bei Visa schon arg in der Klemme steckte. Falls er sie sah, so erkannte er sie nicht.
    Manchmal beobachtete er das Hotel, in das er sie hatte hineingehen sehen. Er sah sich die kommenden und gehenden Paare genau an. Freilich hätte er sie allein nach dem Aussehen nicht erkannt, aber er verließ sich da aufs *HIKO eine Art Intuition. Er beobachtete die Paare und war sich keinesfalls sicher.
    In den folgenden Wochen klapperte er systematisch alle Spelunken in der Stadt ab. Zunächst mit Stadtplan und fünf herausgetrennten Gelben Seiten bewaffnet, drang er schließlich in die
    schummrigsten Lokale vor, die keinen Telefoneintrag hatten. Manche hatten nicht mal Telefon.
    Er trat in dubiose Privatclubs ein, entdeckte illegale Unterschlüpfe, wo man nach der Sperrstunde einkehrte und eigene Getränke mitbrachte, und hockte nervös in dunklen Zimmern herum, die bizarren Sexpraktiken gewidmet waren, von deren Existenz er nichts geahnt hatte.
    Aber er setzte seine nächtliche Runde fort, die er aus Gewohnheit immer im Backdoor begann.
    Sie war nie dort; weder dort noch in der nächsten oder übernächsten Bar. Die Barkeeper kannten ihn und sahen ihn gern als Gast, denn er kaufte sich ständig Drinks und schien nie betrunken zu werden. Soso, er starrte schon mal auf andere Gäste - na und?
    Coretti verlor seinen Job.
    Er hatte zu oft seine Vorlesungen geschwänzt. Er hatte sich angewöhnt, so oft er konnte das Hotel zu beobachten, sogar tagsüber. Er war in zu vielen Bars gesehen worden. Er zog sich offenbar nicht mehr um. Er hatte sich geweigert, Abendkurse zu geben. Er hatte immer wieder mitten im Vortrag abgebrochen und geistesabwesend aus dem Fenster gestarrt.
    Insgeheim war er froh über seine Entlassung. Man hatte ihn komisch angeguckt in der Mensa, wenn er keinen Bissen hinunterbrachte. Und jetzt blieb ihm mehr Zeit für die Suche.
    Coretti fand sie an einem Mittwoch um 21S früh in einer Schwulenkneipe namens Barn. Die
    Wände waren mit grobem Holz verkleidet und mit Schlingen und rostigem Farmgerät behängt.
    Parfüm und Lachen und Bierdunst schlugen einem aufdringlich entgegen. Sie spielte die Naive in ihrem blau-paillettierten Kleid und mit der grünen Feder im gestylten brünetten Haar. Das überwältigende Gefühl einer beinahe zellulären Erleichterung machte Coretti bewußt, daß er sie praktisch bewunderte, daß er merkwürdig stolz war auf sie - und ihresgleichen. Auch hierher gehörte sie. Sie war etwas zum Herumzeigen, eine Exotin, die keine Bedrohung für die Tunten oder deren kernige Beglücker darstellte. Ihr Begleiter war zu einem Mann ohne Alter mit
    silbergrauen Schläfen, Angorapulli und Trench geworden.
    Sie tranken und tranken und gingen lachend mit genau der richtigen Lache - hinaus in den Regen.
    Ein Taxi stand da; die Scheibenwischer gingen im Takt mit Corettis Herzschlag.
    Coretti watschelte über den nassen Gehsteig und schob sich, ihre Reaktion fürchtend, ins Taxi.
    Da saß Coretti nun im Fond neben ihr.
    Der Mann mit den grauen Schläfen sprach mit dem Fahrer. Der Fahrer murmelte was in sein
    Funkmikro und legte den Gang ein. Schon glitten sie durch den Regen und die dunklen Straßen.
    Die nächtliche Stadt hinterließ keinen Eindruck auf Coretti, denn sein Blick war nach innen gekehrt. So sah er das Taxi anhalten; der graue Mann und die Frau stoßen ihn hinaus und deuten grinsend aufs Tor einer Irrenanstalt. Oder: das Taxi hält an, und das Paar wendet sich mit einem traurigen Kopf schütteln ab. Und dutzendmal sieht er wohl das Taxi in einer verlassenen
    Seitenstraße anhalten, wo sie ihn systematisch erdrosseln. Coretti bleibt tot im Regen liegen.
    Weil er ein Außenseiter ist.
    Aber schließlich waren sie bei Corettis Hotel.
    Im trüben Licht der Wagenbeleuchtung beobachtete er genau, wie der Mann zum Bezahlen in
    den Mantel griff. Coretti sah deutlich das Mantelinnenfutter, das

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