Cyboria - Die geheime Stadt
bemerken.«
»Dann beobachte sie, wenn mein Sohn nicht dabei ist.«
»Wie Sie wünschen.«
Der Conte sah auf die Uhr und bemerkte: »Es wird Zeit für die Fütterung.«
Calibano schlug die Hacken zusammen. Nur wenige Sekunden später öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers, und ein seltsam aussehender Diener betrat den Raum. Sein Gesicht war starr, wie das einer Wachsstatue, sein roboterhafter Schritt war von einem fernen Ticken und dem stechend-scharfen Geruch von Kerosin begleitet. Er stellte zwei stabile Koffer auf den Boden und verschwand wieder, ohne ein Wort zu sagen.
»Geh, Calibano …«, befahl der Conte. »Wir haben uns doch verstanden?«
»Der Frau folgen, wenn Ihr Sohn nicht dabei ist.«
Er verließ den Raum.
Als er alleine war, erhob sich Liguana, verschloss alle Türen und zog die schweren Vorhänge zu, damit niemand von außen in das Zimmer sehen konnte. Dann ging er zur Bücherwand, nahm den in seinem Gürtel verborgenen Schlüssel, steckte ihn in ein hinter den Büchern verstecktes Schloss und drehte ihn zwei Mal hörbar um. Ein leises Klacken ertönte, und wie von Zauberhand öffnete sich eine Tür. Sie quietschte nicht, offenbar war sie gut geölt.
Der Conte nahm die beiden Koffer und trug sie durch den Gang hinter der Bibliothek bis zu einem kleinen Raum, der von bläulich schimmernden Neonröhren erhellt wurde. Der Raum wurde von einer gespenstisch anmutenden Maschinerie beherrscht, von der Rohrleitungen abgingen, die in der Wand verschwanden und an anderer Stelle wieder herauskamen. Auf diesem Monsterapparat saß ein Manometer mit Zeigern, die innerhalb einer Zahlenskala hin und her pendelten. Vorne war ein kleiner Überwachungsmonitor angebracht, der die oszillierende Schwingungslinie eines schwachen Herzschlags dokumentierte; im gleichen Rhythmus war ein monotoner Piepton zu hören. Inmitten der Apparatur stand ein Bett, das durch eine Glasglocke hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt war. Auf dem Bett lag ein greisenhafter Mann, von dem nur das verknöcherte Gesicht und der obere Teil des schlaffen Brustkorbs zu sehen war. Auf den ersten Blick wirkte der Alte mehr tot als lebendig, aber sobald der Conte an der Glasglocke erschien, riss er wütend die Augen auf.
Wütend und hungrig.
»Ich weiß nicht mehr, was ich mit meinem Sohn machen soll …«, murmelte der Conte. Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er die Koffer und zog etwa zwanzig Kunststoffbeutel mit einer dunklen, zähen Flüssigkeit heraus, die große Ähnlichkeit mit Blut hatte. Er befestigte sie an den Schläuchen, während er die leeren Beutel in den Koffern verstaute.
Langsam begann eine Pumpe zu arbeiten, presste die Flüssigkeit in die Schläuche und dann weiter in den auf dem Bett ausgestreckten Körper.
Eine schwache, aber ätzend scharfe Stimme drang aus der Glasglocke. »Du hast ihn verzogen. Aus ihm ist kein Mann geworden, sondern ein Schwächling. Du solltest das wieder geradebiegen.«
»Das ist nicht meine Schuld.«
»Versuche nicht, dich rauszureden, du hast ihn nie verstanden. Du allein bist schuld, dass er so geworden ist und nicht daran glaubt, dass es einen Weg …«
Der Conte klappte die Koffer zu, dann wandte er den Blick wieder zu der fast durchsichtig wirkenden Kreatur, die seit Jahren an diese Maschine angeschlossen vor sich hin vegetierte, an eine Maschine, die er selbst konstruiert hatte. »Einen Weg, sagst du. Und du bist sicher, dass die Folgores ihn kennen?«
In den Augen des Alten leuchtete ein irres Feuer. » Sie kennen den Weg! Sie halten ihn geheim, aber du musst ihn finden! Wir müssen ihn finden!«
Der Conte nickte kurz.
»Ich werde tun, was du sagst, Vater. Ich werde tun, was du immer gesagt hast.«
Dann schloss er die geheime Tür hinter sich, vor ohnmächtiger Wut bebend.
7
Ungebetene Gäste
D ie Hupe von Medeas in die Jahre gekommenem himmelblauen Käfer hallte durch die Villa Folgore.
Otto rannte die Treppe hinunter und sah, wie seine Mutter Medea mit einer flüchtigen Umarmung und gezwungenen Höflichkeitsfloskeln begrüßte. Die beiden ohne Sisifos Vermittlung miteinander kommunizieren zu sehen, war wirklich eine Qual. Die ganze Szene wirkte aufgesetzt und steif. Otto beendete die peinliche Situation, indem er seine Tante an der Hand nahm und sie beiseitezog: »Komm mit hoch, ich zeige dir das Gemälde, in Ordnung?«
Seine Mutter war ihm offensichtlich dankbar, von der lästigen Pflicht befreit zu sein, was ihr dankbarer Blick bewies.
Tante und Neffe betraten
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