Cyrion
liegt er begraben, mein Vater Gerris.«
»Oh, ja.«
»An seiner Seite war ein Platz für meine Mutter vorgesehen. Aber sie starb im Westen, weit von hier entfernt, und liegt dort begraben.«
Ernst und schweigend stand er neben ihr vor dem Grab.
»Mein Vater wollte eine Kapelle neben dem Turm bauen«, erzählte sie. »Aber er verlor sein Vermögen. Es gab keine Kapelle. Und als ich dreizehn war -«
»Ja. Natürlich.«
»Dann kam sein Tod«, sagte sie. »Er war unerklärlich und grausam. Wir holten einen Arzt, aus Cassireia. Wir bezahlten ihn in Gold. So viel wir uns leisten konnten. Und mehr. Aber der Mann konnte nichts tun. Nichts. Man sprach sogar von Zauberei, Roilant.«
Falls das als Drohung gemeint war, so konnte sie kaum deutlicher sein. In ihrer angenehmen Stimme lag dabei kaum ein Gefühl. Und ja, nach einer taktvollen Pause hob sie den Kopf, schaute ihn an und sagte: »Ich muß das ganz offen zur Sprache bringen. Du hast die Absicht, mich zu heiraten?«
Er wurde rot. (Wie viele Frauen beherrschte Cyrion diesen Trick; das I-Tüpfelchen auf seiner exquisiten Verstellung.)
»Verzeih mir«, beschwichtigte sie ihn, »es gehört sich nicht, daß ich so zu dir spreche und ich weiß es. Aber in meiner Lage -«
»Eliset, meine - Liebe. Ja, ich beabsichtige tatsächlich das Versprechen von damals einzulösen. Trotz des rechtlichen Schreibens, das ich dir schickte und das du mir auf so einzigartige Weise zurückgesandt hast - und dessentwegen ich einen so seltsamen Traum hatte -«
»Ein Brief?« Ihre Verwirrung war bezaubernd unschuldig. »Ich habe keinen Brief von dir erhalten, bis auf den, in dem du mir versprachst, am Ende des Monats hier zu sein.«
»Es gab noch einen anderen Brief. Aber das ist nicht mehr wichtig.«
»Aber ja doch. Ein rechtliches Schreiben, sagst du? Und daß ich es zurückgeschickt hätte?«
»Vielleicht habe ich das auch nur geträumt. Ich habe doch schon gesagt, daß meine Träume in letzter Zeit eigenartig waren, wirr. Ohne Zweifel plagte mich Schuldbewußtsein, weil ich zugelassen hatte, daß sich solch eine Kluft zwischen uns auftat.«
»Aber Roilant -«. Plötzlich lächelte sie. Anscheinend war sie bereit, das Spiel für diesmal zu beenden. Sie war zufrieden. »Soll es so sein, wie du wünscht. Wir werden den Brief vergessen.«
»Ja.« Er räusperte sich und betrachtete die Steinfigur auf der Grabplatte, die über einem Schwert gekreuzten Hände, das bärtige schlafende Gesicht. Weiter unten breiteten sich feuchte Flecken auf dem Stein aus, und weißliches Moos begann eine Hülle für das Grab zu weben. »Da ist noch etwas. Unsere Vermählung, der ich mit Freuden entgegensehe, muß sich den Umständen anpassen. Ich bedaure, daß es - Gerüchte über dein Leben auf Flor gibt. Allein die Tatsache, daß du nach dem Tod deines Vormunds überhaupt hier geblieben bist, mit Mevary.«
Ihre Augen waren nicht länger unschuldig. Sie waren eisig.
»Und wo sonst sollte ich leben? Ich habe keine anderen lebenden Verwandten, außer dir.«
»Vielleicht in eine m Kloster.«
»Kloster? Flor ist an meinen Onkel Mevary übergegangen, aber bei meiner Heirat sollte es an mich fallen. Und sollte ich es der Obhut von Mevarys Sohn überlassen? Niemals!«
»Als meine Frau wirst du in Heruzala wohnen.«
»Ja«, sagte sie. »Ja, dann werde ich Flor für immer verlieren, nicht wahr? Meine gesetzliche Mitgift, auf der mein Cousin leben wird. Und er wird sie unwiderruflich zugrunde richten.« Sie nahm die Hand von dem Grabstein und legte sie vor die Augen. »Aber was mache ich mir Sorgen.« Ihre schauspielerische Leistung war, wie man zugeben mußte, eindrucksvoll.
»Ich muß eines klarstellen, Eliset, obwohl es mich schmerzt, dich zu verletzen«, beharrte er eigensinnig. »Du mußt dich mit einer bescheidenen, sogar heimlichen Hochzeit zufrieden geben. So wie du gelebt hast, ist es nicht anders möglich.«
»Nein?« Sie ließ die Hand sinken. Sie lächelte ohne Grund.
Natürlich konnte sie als Hexe ihn zu jeder Art Hochzeitszeremonie zwingen, die ihr in den Sinn kam. Aber nein, vielleicht gehörte es zu ihrem Spiel, ihrem Opfer in kleinen Dingen den Willen zu lassen, so daß er sich selbst zum Narren halten konnte, Narr, der er offensichtlich war. Damit er sich selbst einreden konnte, daß der Zauber, der ihn beeinflußte, nichts anderes war als Träume und die Auswirkung eines schlechten Gewissens. Man konnte sich vorstellen, wie sie darüber nachdachte, während sie dastand und ihn dann
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