Cyrion
als könnte nichts sie davon lösen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr langes, langes Haar, das in der Sonne wie Kupfer schimmerte und das sie wohl hochgebunden harte, schien herabgezerrt worden zu sein. Ihr einfaches Kleid hatte am Mieder einen langen Riß, den sie mit beiden Händen zu verdecken suchte.
Auf dem Rand der Brunneneinfassung hockte Jobel.
Als Cyrion in den Hof trat, war der fette, alte Sklave in einer zusammengekauerten Haltung erstarrt, aber in der nächsten Sekunde sprang er auf, wäre fast in den Brunnen gefallen, brachte aber irgendwie einen wilden Satz zustande und landete wieder im Hof. Sein Bauch wabbelte, er wedelte mit den Armen. Dann gab er wieder diese furchtbaren jaulenden Laute von sich, die sie an der Außenmauer gehört hatten. Hellroter Schaum troff über seine Lippen. Seine Augen waren glasig und blind.
Sobald er Elisets ansichtig wurde, kam Harmul herbeigelaufen, das Messer immer noch fest in der Hand.
»Herrin - er ist von einem Dämon besessen.«
Eliset stand wie eine Statue aus Eis.
»Nein«, sagte sie. »Ich habe so etwas schon einmal gesehen. Es ist eine Krankheit, die auch andere anstecken kann. Ich sah einen Hund auf diese Weise sterben und später den Mann, den der Hund gebissen hatte.«
»Er hat sie angefallen.« Harmul deutete auf Jhanna.
»Er zerriß ihr Kleid und zerrte an ihrem Haar. Aber dann wandte er sich von ihr ab, hob den Ölkrug auf und schleuderte ihn auf Zimir -«
Jobel, der alte, dicke Sklave, rannte gegen die Hofmauer an und schlug mit den Fäusten dagegen.
»Harmul«, sagte Eliset. »Er wird in jedem Fall sterben, der Ärmste, und stellt für uns alle eine Gefahr dar, bis es soweit ist. Er ist schon nicht mehr bei Verstand und leidet Schmerzen, die nur noch schlimmer werden können. Du mußt ihn töten, Harmul. Wirf das Messer.«
Harmul stierte sie mit hervorquellenden Augen an. Dann nickte er.
Er hob den mageren Arm, und das Fleischmesser flog durch die Luft.
Es traf Jobel in den Rücken, und die Klinge war lang genug, um unter all dem Fett das Herz zu treffen.
Mit einem gurgelnden Schrei fiel Jobel zu Boden. Er warf sich zuckend hin und her. Der Schaum, der aus seinem Mund quoll, war jetzt rot. Wie ein Akrobat aus einem Alptraum bog er sich so weit zurück, bis er mit den Fersen seinen Hinterkopf berührte. Und starb.
Harmul stieß einen leisen Schrei aus. Jhanna schlug die Hände vors Gesicht. Zimir entfernte sich kriechend von den Trümmern des Ölkrugs.
»Seid vorsichtig«, befahl Eliset. »Achtet darauf, daß ihr den Speichel nicht berührt, der aus seinem Mund geflossen ist. Er ist giftig. Wo etwas davon hingetropft ist, gießt Öl aus und zündet es an. Wenn seine Zähne einen von euch verletzt haben, muß die Wunde ausgebrannt werden. Und er, der Bedauernswerte. Um jede Ansteckung zu vermeiden, darf er nicht ausgekleidet oder gewaschen werden. Wickelt ihn so wie er ist in Teppiche oder Säcke. Und begrabt ihn erst morgen.« Ihr Gesicht war weiß und ruhig. Sie legte eine Hand auf Harmuls Schulter. »Du hast deine Sache gut gemacht«, sagte sie, und der Junge wurde so bleich wie sie.
Eliset drehte sich um und ging durch den Torbogen in den Hof vor dem Haupteingang. Cyrion folgte ihr.
Als sie das leere Becken eines Springbrunnens erreichte, stützte sie sich auf den Rand.
Cyrion blickte auf und sah Mevary die Treppe zur Dachterrasse herunterkommen, wobei er ein gedämpftes Klopfen hervorrief. Der Grund dafür waren die hochhackigen Stiefel, die er heute trug. Diese Art Fußbekleidung war in Auxia gebräuchlich, und Mevary wirkte dadurch zwei Zentimeter größer.
Trotz der hohen Absätze gelang es ihm, Eliset zu erreichen und aufzufangen, bevor sie in einem der am perfektesten vorgetäuschten Ohnmachtsanfälle, die Cyrion je zu beobachten das Vergnügen gehabt hatte, zu Boden sank.
»Sie hat mich hiermit zu Euch geschickt.«
Cyrion betrachtete zweifelnd die bernsteinfarbene Rose in Jhannas schmaler brauner Hand. An dem Stiel der Rose, die er nur zögernd entgegennahm, war ein Papier befestigt. Auf dem stand:
Mein Lieber, vergib mir. Ich werde heute Abend nicht mit dir speisen. Um für die Reise nach Cassireia frisch und ausgeruht zu sein, muß ich mich heute Abend früh zur Ruhe begeben. Bis morgen. Eliset.
Nachdem er den Zettel gelesen hatte, ließ er ihn fallen und untersuchte die Rose. Ihr süßer Duft war wie leise Musik und mischte sich mit einem schwereren Parfüm aus dem Haar des Sklavenmädchens. Glatt und auf dem
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