Cyrion
wieder anblickte.
»Ich werde tun«, sagte sie, »was immer du willst. Mit Dankbarkeit. Und ich werde dir eine gute Frau sein. Eine ehrbare Frau. Du wirst keinen Grund zur Klage haben.«
Tote Ehemänner beklagen sich allerdings selten.
Sie gingen zwischen den verwitterten Grabsteinen umher. Es waren nicht viele, Flor befand sich erst seit einem Jahrhundert in dem Besitz der Familie. Bis zum Turm war es nicht weit, das Sonnenlicht vergoldete die Steine und schimmerte auf den Blumen an seinem Fuß. Jetzt war auch der Grund für die bedrohliche Schräglage zu erkennen: Zwei Mauern hatten sich gesenkt, zwei sich gehoben. Sie gingen daran vorbei und kamen an den Klippenrand. Angeblich war der Boden hier nicht sicher. Man konnte sich das Mädchen vorstellen, die elf Jahre alte Valia, Gerris’ legitimierter Bastard, wie sie von den blauen und gelben Blumen angelockt wurde und von der tiefblauen Weite des Meeres.
Vielleicht dachte die Hexe an damals und rief es sich vor Augen. Was hatten ihre Hexenkünste damals heraufbeschworen? Das Trugbild eines Meeresdämonen, der aus der Luft auf das Kind mit seinen Blumen herniederstieß - und mit einem Schrei war sie gefallen, tiefer und tiefer, ihr schwarzes Haar wie verwehender Rauch.
Die schauspielernden Cousins blickten über das Meer. Es gab keinen Strand, an dem die Wellen auslaufen konnten, die Bläue reichte unmittelbar bis an den Fuß der Klippen heran. Ein zusätzlich mit Rudern ausgerüstetes Segelschiff kam aus dem Norden, das weiße Segel war gerefft, schimmernd gischtete das Wasser um den Bug. Wahrscheinlich war es nach dem Hafen von Cassireia unterwegs. Es war höchstens eine Achtelmeile von der Küste entfernt, woraus man ersehen konnte, wie tief das Wasser war, und es war klein wie ein Spielzeug, wodurch die Höhe der Klippen erst richtig deutlich wurde.
»Träume und Trennungen«, sagte Eliset. »Einmal träumte ich, ein solches Schiff trüge mich hinweg von Flor. Ich streckte die Arme nach dem Land aus, aber das Land segelte fort.«
Während sie sprach, tat sie einen Schritt nach vorn, wohl um ihre Vorstellung mit einer Geste abzurunden, wie Cyrion es mit dem Erröten getan hatte. Wo sie jetzt den Fuß aufsetzte, gab der Boden nach. Ein Büschel roter Blumen löste sich mitsamt den Wurzeln aus der Erde und kippte über den Rand, eine Opfergabe an den Ozean. Steine und Erdbrocken folgten ihnen, und es sah ganz so aus, als würde Eliset es ihnen gleichtun.
Die plumpe Gestalt Roilants bewegte sich mit einer Schnelligkeit, zu der sie eigentlich gar nicht fähig sein durfte. In dem Augenblick, als sie fiel, wurde sie gepackt, herumgewirbelt und auf festem Boden wieder niedergesetzt. Sie hatte nicht geschrieen, wirkte auch gefaßt und dankte Roilant höflich und ruhig. Dann begann sie in seinen Armen zu zittern, eine Reaktion, die bestimmt nicht gespielt war.
Der rothaarige junge Mann, der sie immer noch festhielt, schwieg. Mit bebender Stimme sagte sie: »Die Klippen sind gefährlich, der Boden ist nicht fest - selbst die Gräber wandern. Eines Tages wird der Turm ins Meer stürzen. Wie ist es dir gelungen, mich rechtzeitig aufzufangen -«
Er antwortete mit großem, unangemessenem und aufreizendem Nachdruck: »Du sollst meine Frau werden.«
Sie lachte ohne Fröhlichkeit. Noch immer zitternd, verächtlich und gleichzeitig belustigt, schaute sie zu ihm auf und er auf sie hinab. Etwas in seinem Gesicht beruhigte sie, und allmählich ließ das krampfhafte Beben nach. Unvermittelt versuchte sie, sich von ihm zu lösen und er, statt sie freizugeben, zog sie noch näher an sich heran. Der rote Kopf senkte sich zu dem blonden hinab.
Ihr Körper versteifte sich widerstrebend, besann sich dann auf seine Pflicht und wurde weich und fügsam. Und im nächsten Moment glaubte sie zu zerfließen, sich aufzulösen, von den Wellen des Meeres davongetragen zu werden.
Seine Verkleidung reichte nicht bis unter die Haut. Irgendwann in einem Zeitraum von wenigen Sekunden, hatten Elisets Sinne das herausgefunden, ohne daß sie es verstand. Beseligt versunken in einem einzigen Kuß, glaubte sie vielleicht, er oder auch sie selbst sei von Geistern besessen, die sie diesmal nicht gerufen hatte.
Als er sich von ihr löste, sah sie vor sich dieselben Pausbacken, verquollenen Augen, ingwerfarbenen Haare. Sie starrte ihn an und bemerkte erschreckt, daß sie schon wieder zitterte, wenn jetzt auch aus einem anderen Grund.
Erst als er sichtlich verlegen wurde, gewann sie ihre Beherrschung
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