Cyrion
zurück. Mit wild klopfendem Herzen, aber äußerlich kühl, drehte sie sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Er beeilte sich, sie einzuholen.
»Ich habe«, murmelte er, »einige Vorbereitungen getroffen. Wenn du einverstanden bist, möchte ich dich bitten, mich morgen früh nach Cassireia zu begleiten. Gegen Mittag müßten wir in einem bestimmten Gebäude eingetroffen sein, wo ein Priester und Trauzeugen uns erwarten. Anschließend werden wir, als Mann und Frau, nach Heruzala Weiterreisen.«
Es war so, als hätte es nie den Kuß gegeben. Sie brauchte eine Weile, um zu begreifen, was er gesagt hatte und als sie es begriff, rief sie beinahe unfreiwillig: »Nein!«
Etwas wie Panik klang in ihrer Stimme.
»Nein?« Er blieb stehen.
Sie wartete mit dem Rücken zu ihm, dann wandte sie sich um. Ihr Gesicht war fast noch blasser als nach ihrer glücklichen Rettung vor einem Sturz von den Klippen.
»Roilant, ich kann Flor nicht so plötzlich verlassen. In dem Wissen, daß ich vielleicht nie wieder - ich kann es nicht. Du mußt mir etwas Zeit geben, um mich an den Gedanken zu gewöhnen.«
»Was sollen wir also tun?« fragte er steif.
»Mit allem anderen bin ich einverstanden. Auf diese formlose Art zu heiraten und nachher einfach so auf die Straße geschoben zu werden. Ja, das macht mir kaum etwas aus. Ich sehe ein, daß es nicht anders sein kann. Aber ich muß nach Flor zurückkehren, wenigstens für eine Nacht. Es gibt Dinge, die ich noch mit Mevary besprechen muß. Er wird mein Verwalter sein. Ich hatte gehofft -«
»Gehofft?«
»Daß du ihm für seine Verwaltertätigkeit eine Art Gehalt aussetzen würdest. Dann würde er sich in meiner Abwesenheit vielleicht nicht ganz so rücksichtslos an Flor schadlos halten. Aber abgesehen davon - Roilant, wir werden dann erst ein paar Stunden verheiratet sein. Die erste Nacht, die wir zusammen verbringen - mir wäre es lieber, es könnte hier auf Flor sein. Wo ich ein Kind war, wo ich zur Frau heranwuchs. Wirst du, in deiner unzweifelhaften Großzügigkeit, mir diese Bitte gewähren?«
Es war unterhaltsam darüber nachzudenken, ob sie tatsächlich glaubte, selbst der einfältige Roilant könnte dumm genug sein, sie noch für eine Jungfrau zu halten. Aber vielleicht hielt sie ihn für dumm genug.
Cyrion nickte knapp.
»Also gut. Eine Nacht.«
Ihr Gesicht entspannte sich und zumindest ihre Lippen bekamen wieder etwas Farbe.
»Mein Lieber, du bist sehr gut zu mir. Ich verspreche dir nochmals, daß ich dir, obwohl du mich für so minderwertig hältst, keine Schande machen werde.«
Er grummelte irgendein plumpes Kompliment. Nebeneinander gingen sie den Abhang hinunter. Als sie sich zwischen den Zwergtamarisken einen Weg suchten, die an der Hofmauer des Badehauses wuchsen, erregte plötzlich ein unheimliches Geräusch ihre Aufmerksamkeit.
Es gab ein Geschrei, das anstieg, verstummte und wieder lauter wurde. Dann folgte ein Klirren, als wäre irgendein tönerner Gegenstand zerbrochen, begleitet von einem dünnen Wimmern. Schließlich ertönten Laute, die sie zuerst gehört hatten, ein furchterregendes Jaulen und Quieken.
»O Gott, was hat das zu bedeuten?« flüsterte Eliset.
Sie raffte ihre langen Röcke und eilte so leichtfüßig wie eine weiße Flamme um die Mauer herum. Ihr dicklicher Begleiter folgte ihr mit erstaunlicher Schnelligkeit, vergaß aber nicht, gelegentlich zu stolpern.
Ein unverschlossenes Tor führte in die alten Ställe. Sie stieß es auf, sprang hindurch, lief über den verlassenen Hof, unter einem zweiten Torbogen hindurch und gelangte schließlich in den Küchenhof.
Bei Tageslicht bot dieser Hof genau das staubige, mit dürrem Laub zugewehte Bild, das man sich bei Nacht vorstellte. Zu dem üblichen Unrat gesellten sich noch einige Küchengerätschaften wie Körbe und Töpfe, die sich am Brunnen und dem Hackklotz stapelten.
Die Darsteller, die in dieser Kulisse agierten, waren gerade jetzt zur Bewegungslosigkeit erstarrt, als wollten sie den Neuankömmlingen Gelegenheit geben, sich mit der Sachlage vertraut zu machen. In der offenen Küchentür stand der Knabe Harmul, ein langes und tödliches Fleischmesser in der Faust. Nur wenige Schritte entfernt, lag Zimir, der andere Junge, auf dem Gesicht, umgeben von ausgelaufenem Öl und den Scherben des Tonkrugs. Der dritte Junge, Dassin, fehlte. Nur noch zwei weitere Personen waren anwesend. Neben der Tür ihrer Sklavenunterkunft hatte Jhanna sich so fest gegen die Mauer gedrückt,
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