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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Gewandtheit fertigbrachte, drei Dinge gleichzeitig zu tun - trotz ihrer wogenden Röcke in den Sattel zu steigen, den Damensitz einzunehmen, obwohl sie nur einen Steigbügel zur Verfügung hatte und die ganze Zeit stolze Würde zu bewahren -, gewann das Herz ihres großen Publikums im Sturm. Zornig trieb sie das Maultier mit einem Peitschenschlag zum Galopp und ritt unter einem Regen von Blumen zum Tor hinaus.
    Man hatte Flor zwar zur Feier des Tages geschmückt, aber ein Außenstehender hätte kaum erraten können, ob der Anlaß nun eine Hochzeit oder eine Beerdigung war. Braune Palmenzweige und schwindsüchtige Blumen standen in Vasen, und die parfümierte Kerze, die in dem Dachpavillon brannte, war von einem Kreis toter Motten umgeben.
    »Die halbe Stadt hat zugehört.«
    Die Stimme des Mädchens zitterte vor Aufregung oder Scham oder beidem.
    »Zum Entzücken von Cassireia.« Mevary.
    »Aber verstehst du, was ich meine?«
    Stille.
    »Niemand«, sagte Mevary, »wird sich an den Grund erinnern, nur an den Spaß.«
    »Wenn er unvermutet stirbt«, erwiderte sie, jetzt so ruhig wie der stählerne Schimmer auf der Klinge des Mörders, »wenn das geschieht, Mevary, vielleicht doch.«
    »Dann«, bemerkte Mevary, »müssen wir unserem Cousin Roilant wohl ein langes und gesundes Leben wünschen. Gott, wie lästig er allmählich wird. Man könnte beinahe wünschen, der erbärmliche Dolch hätte sein Ziel nicht verfehlt.«
    Die frischgebackene Ehefrau war allein und völlig erschöpft in Flor eingetroffen, eine volle Stunde bevor ihr Gatte eintrudelte. Er hatte sich ein Tuch um die untere Gesichtshälfte gebunden und kümmerte sich nicht um Harmul, der mürrisch hinter ihm hertrollte, während von Sänftenträgem und Sänfte weit und breit nichts zu sehen war.
    Zu diesem Zeitpunkt hielt Eliset sich in ihrem Zimmer auf. Mervary allerdings hatte ein lebhaftes Interesse an den Ereignissen des Tages bekundet. Von seinen Ausschweifungen war ihm nichts mehr anzumerken. Es war Cousin Roilant, der dringend einer Erfrischung zu bedürfen schien.
    »Ich wurde angegriffen, wahrscheinlich von irgendeinem Verrückten oder Taschendieb. In der ersten Aufregung sagte ich etwas Dummes.«
    »Das habe ich schon gehört.«
    »Ich hoffe, sie wird mir verzeihen. Ich meinte es ironisch, und sie hielt es für Ernst. Außerdem glaube ich, daß ich mir einen Zahn abgebrochen habe. Vor Schmerzen kann ich kaum die Lippen bewegen.«
    »Dann solltest du dir deine Worte für Eliset sparen. Ich glaube, sie hat die Absicht, dich heute nacht zu Eis erstarren zu lassen.«
    Was über dem Tuch von Roilants Gesicht zu sehen war, bewölkte sich.
    Einige Zeit später stand der Überlebende des Mordanschlags von Cassireia gewaschen, gekämmt, mit Ringen an den Fingern und übertrieben prächtig gekleidet auf der Treppe, hörte einen kurzen Wortwechsel auf dem Dach und kündigte seine Anwesenheit mit dem üblichen Stolpern an.
    »Diese Treppe«, sagte Cousin Roilant und wankte auf die Terrasse.
    »Ist gefährlich?« fragte Mevary hilfreich. Den erleuchteten Elfenbeinpavillon hinter sich, war er eine anmutigbedrohliche Erscheinung und trug den vierten Satz neuer Kleider, die er bis jetzt zur Schau gestellt hatte. Seine Augen schimmerten gelblich wie die Kerzenflammen, und ihr Schimmer verstärkte sich noch, als der dunkelblaue Himmel sich langsam schwarz färbte.
    Cousin Roilant kam näher.
    »Ist sie -«
    »Hier? Ja. Ich habe sie überredet. Ich sagte ihr, es täte dir leid.«
    »Ich habe ihr gesagt, daß es mir leid tut.«
    »Nun«, Mevary tat verschämt, »mich kennt sie länger.«
    »Und ich bin ihr Mann.«
    »Ja! Allerdings. Und wie geht es dem armen, mißhandelten Gesicht?«
    Cousin Roilant betastete es vorsichtig.
    »Das Zahnfleisch ist geschwollen. Bestimmt werde ich den Zahn verlieren.«
    Mevary schnalzte mitleidsvoll.
    Unter dem - jetzt allerdings sauberen - Tuch, das er beständig an den Mund führte, wirkte das runde Gesicht noch runder; durch die Schwellung in der Mundhöhle wölbten sich die Lippen vor und konnten sich nicht mehr ganz schließen. Außerdem sprach Cyrion-Roilant nur undeutlich und mühevoll.
    »Und das in deiner Hochzeitsnacht.«
    Cyrion ging an ihm vorbei und trat in den Pavillon.
    Eliset hatte das cremefarbene Seidenkleid mit den Chalzedonen angelegt und versuchte, eine Lampe zu hypnotisieren. Er murmelte etwas. Sie beantwortete das Gemurmel mit einem steifen Kopfnicken.
    »Ein Hoch«, sagte Mevary strahlend und füllte seinen Pokal,

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