Cyrion
Meeresdämonen, die des Nachts die Klippen hinaufsteigen -« Sie kam zu ihm zurück, fiel auf die Knie, senkte den Kopf und sagte durch den Schleier aus leuchtendem Haar: »Du verdienst
die Wahrheit. Deine verdammenswerte Dummheit verdient sie. Sollte Roilant es erfahren? Ja, er soll es erfahren. Ich hatte nie vor, ihn zu hintergehen.« Sie hob den Kopf und erwiderte zynisch seinen Blick. »Ich werde es dir sagen. Mervary hat gewiß angedeutet, daß ich keine Jungfrau mehr bin. Aber er wird bestimmt nicht gesagt haben, daß sein Vater mich an meinem vierzehnten Geburtstag zu seiner Geliebten machte. Es geschah hier, in diesem Zimmer. Dort drüben, bei der Truhe. Mein Onkel kam herein und innerhalb von kaum fünf Minuten hatte er mich vergewaltigt. Als es vorbei war, fragte er mich, ob es mir gefallen hätte und ob ich ihn liebte. Als ich sagte>nein<, schlug er mich. Dann fragte er mich wieder und ich sagte>ja<. Ich lerne schnell, wie du siehst. Drei Jahre lang gab ich ihm das Lippenbekenntnis, nach dem seine Eitelkeit verlangte, und wonach sein Fleisch verlangte, gab ich ihm auch. Ich hieß ihn immer freudig willkommen. Ich lernte auch, seine Gelüste auf die Arten zu befriedigen, die er am liebsten hatte. Du wirst feststellen, daß ich erfahren bin, wenn auch verdorben.«
»Und der zweite Mevary«, fragte Cyrion gelassen. »Wie steht er zu dir?«
»Er ist mein Liebhaber, wie du weißt.«
»Den du liebst wie einen Gott.«
Ihre blauen Augen musterten ihm mit scharfer Aufmerksamkeit.
»Das hast du also auch gehört? Und es geglaubt, wie er es glaubt? Nein. Er ist nicht mein Gott. Ich liebe ihn nicht, begehre ihn nicht, ich mag nicht einmal seine Gesellschaft. Nach alter Familientradition vergewaltigte er mich. Inzwischen war ich daran gewöhnt. Wie bei seinem Vater, so ist auch sein Liebesspiel kaum mehr als eine Vergewaltigung. Und wie sein Vater ist er ein eifersüchtiger Wicht, einer, der Frauen und Pferde schlägt und es liebt, angebetet zu werden. Also bete ich ihn an.«
»Warum?«
»Habe ich es nicht gerade erklärt, warum? Wie sonst hätte ich hier leben können? Wie sonst hätte ich überhaupt leben können?«
»Ach ja. Du konntest es nicht ertragen, auf dein Erbe zu verzichten, diesen Trümmerhaufen. Also hast du ausgehalten. Und darauf gehofft, daß ich mein Versprechen einhalten würde.«
»Du.« Sie war zornig. »Ich hatte gehofft, daß die Ehe mir die Wohltat des Friedens bringen würde.«
»Nachdem du dich meiner entledigt hättest.«
Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie verwirrt, unsicher. »Ich fürchte beinahe, daß Mevary etwas in der Richtung vorhaben könnte. Aber ich glaube nicht, daß er aus dem Holz geschnitzt ist. Alles andere, aber das nicht. Für einen Mord braucht es eine Art Grausamkeit, von der ich nicht annehme, daß er sie besitzt.« Sie hockte sich auf die Fersen, betrachtete Cyrion nachdenklich und wurde dann sehr still. Schließlich fragte sie: »Was ist?«
»Was denkst du, das es ist?«
»Du bist krank.«
»Ich habe dir schon an der Tür gesagt, was es ist.«
»Gift? Das glaube ich nicht.«
»Er sagte mir, daß ich es nicht mehr loswerden könnte. Wie es scheint, hatte er recht. Was den ästhetischen Gesichtspunkt betrifft, so brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Mein Tod wird keine Ähnlichkeit mit Jobels haben. Welch ein Glück für uns beide.«
Jetzt war sie ernsthaft beunruhigt. Das Licht der Lampe und der Kerzen spiegelte sich in den Schweißtropfen, die langsam über seine Stirn, die Wangen und den Hals rollten. Seine Hände packten die Seitenlehnen des Sessels. Seine Lippen, deren Schwellung so rasch zurückgegangen war, hatten die Farbe von Gips.
»Was«, fragte sie, »kann ich tun?«
»Ein passendes Gebet?« brachte er heraus. Es fiel ihm schwer. »Ich würde dir nicht raten, mir einen Abschiedskuß zu geben.«
Die Schmerzen, denn er hatte ganz offensichtlich Schmerzen, schienen zugenommen zu haben. Sein Körper streckte sich, krümmte sich, sein Gesicht verzerrte sich um die zusammengepreßten Lippen, und seine Augen erstarrten. Ein Blutrinnsal tröpfelte aus einem Winkel seines Mundes.
Das letzte, was Cyrion von Eliset sah, als die Qual seinen Blick trübte, war ihre hochaufgerichtete Gestalt, die in das Zimmer zurückwich, bis Gold mit Gold verschmolz. Dann zerbrach die letzte Verbindung mit dem Leben, wie der Stiel einer Blüte. Die Welt verging in einer schwarzen Feuersbrunst, die ihm einen Schrei entrang.
Eliset, die wieder am Fenster stand,
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