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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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blieb stehen, den Schrei wie ein Messer in ihrem Kopf. Sie schien zu warten.
    Als sie an ihn herantrat, um sich zu vergewissern, war er erschlafft und seitlich über die Armlehne des Sessels gefallen. Seine Augen waren geschlossen, er lächelte schwach, sein Atem war erloschen, und sein Herz stand still.

4. Kapitel
     
    Der Anblick eines einzelnen Reiters, der sich in der scharfkantigen Helligkeit des späten Vormittags dem Herrenhaus von Flor näherte, wirkte sich nicht eben beruhigend auf den in Aufruhr befindlichen Haushalt aus. In der vergangenen Nacht hatte es ein ungewöhnlich betriebsames Kommen und Gehen, Tür auf, Tür zu, gegeben. Nicht jeder war über das Vorgefallene im Bilde und die es waren, zeichneten sich nicht durch besondere Seelenruhe aus. Der einsame Reiter mit seinem Brief, den er am Tor mitleidlos dem zufällig anwesenden Zimir überreichte, war tatsächlich ein Vorbote des Schicksals.
    Als Zimir zu den Stallungen rannte, wurde er plötzlich einigermaßen grob von einer wolfsmähnigen Gestalt aufgehalten. Der Brief wechselte den Besitzer. Er war an Roilant von Beucelair gerichtet, und Mevary öffnete ihn sofort. Schließlich hatte er guten Grund zu der Annahme, daß Cousin Roilant sich kaum noch dafür interessieren würde. Der Umschlag enthielt zwei Papiere. Das erste, das Unterschrift und Siegel von drei Anwälten trug, bestätigte die Echtheit des zweiten Schriftstücks, das wiederum nur die Abschrift eines anderen war, das an einem sicheren Ort in Heruzala lag. Dieses zweite Schriftstück trug Roilants eigenes Siegel, was Mevary nicht davon abhielt, es gleichfalls zu öffnen.
    Man mußte nicht unbedingt ein Genie sein, um den Inhalt zu erraten. Roilants Schreiben verkündete, eingekleidet in allerlei blumige Redewendungen, daß bei seinem Tode - sollte dieser plötzlich eintreten - sein gesamtes Vermögen, Landbesitz, Gelder und Vieh, an keinen geringeren als an König Malban persönlich fallen sollte, seinen verehrten Lehnsherrn.
    Es war die einzig mögliche und vollkommen sichere Art, auf die ein reicher Mann seine Erben und Angehörigen um ihre Ansprüche betrügen konnte: alles Gott oder dem König zu vermachen. Hatte man es mit hartnäckigen Erben zu tun, war der König die bessere Wahl.
    Vielleicht eine Stunde danach wisperten Stimmen in dem Obstgartendschungel unter einem von Wespen belagerten Maulbeerbaum. Es war nicht zu erkennen, welcher Mann und welche Frau da in dem brütenden Schatten zischelten, als hätten sie sich ein Beispiel an den Wespen genommen, aber die Stimmen erinnerten sehr an Mevary und Eliset.
    »Ich habe ihm nichts in den Wein getan. Der Feigling ist vor Angst gestorben«, sagte der Mann, der sich wie Mevary anhörte.
    »Wirklich nicht, mein Herz?« sagte die Frau zärtlich und in ihren Worten klang dieselbe Spur Gift wie in jener anderen Nacht, als sie sich über einen scheinbar betäubten Schläfer unterhalten hatten.
    »Nein. Habe ich nicht. Er bildete es sich nur ein. Die Angst hat ihn umgebracht. Außer du -«
    »Ich?« Erstaunte Unschuld.
    Herausfordernd sagte er: »Warum nicht du? Oh, süßeste aller Cousinen, du gehst seltsame Wege.«
    Leidenschaftlich sie: »Du weißt, daß ich dich anbete. Du weißt, daß ich dich bewundere. Verleugne ich denn nicht alle Dinge, alle Menschen und allen Glauben, damit du bekommst, was du dir wünschst?«
    »O ja, schon gut. Aber ausgerechnet heute diesen blödsinnigen Brief zu bekommen - daß das gesamte Vermögen von Beucelair an den König fällt.«
    »Und wir nun doch leer ausgehen?«
    »Denk ein bißchen weiter. Ein Testament, in dem Cousin Pudding seine Witwe und alle Verwandten von seinem Erbe ausschließt und alles dem König hinterläßt, wird selbst den guten Malban auf den Gedanken bringen, daß Roilant uns verdächtigte. Sobald man weiß, daß Roilant tot ist, wird man uns als seine Mörder brandmarken.«
    Ungerührt sie: »Die Witwe wird vor dir an die Reihe kommen.«
    Verärgert er: »Das hilft mir nicht weiter. So wie unsere Pläne jetzt stehen, einen Unsicherheitsfaktor hineinzubringen -«
    »Das ist gar nicht nötig.«
    »Wieso?«
    Zwischen tiefherabhängenden Ästen, Früchten, Laut und surrenden Insekten blitzten zwei Augenpaare und verkrallten sich ineinander, sinnlich, feindlich, gierig.
    »Wenn Roilants Tod jetzt ungelegen kommt«, sagte sie, »dann laß ihn jetzt noch nicht sterben.«
    »Damit kommst du ein bißchen spät.«
    »Ganz und gar nicht. Er ist nach Hause zurückgekehrt oder fortgeritten -

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