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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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je nachdem, wer nach ihm fragt, falls es überhaupt jemand tut. In der Zwischenzeit bette den Leichnam zur Ruhe, und vergiß die ganze Sache.«
    »Und durch das frisch ausgehobene Grab kommt dann doch alles heraus.«
    »Nein. In dem Grabmal meines Vaters Gerris ist noch Platz, hast du daran nicht gedacht? Heute nacht legst du den teuren Verstorbenen hinein und schiebst die Platte wieder über das Grab. Harmul und Zimir werden nicht wagen, etwas zu verraten. Nach allem, was du mir erzählt hast, waren sie nicht unschuldig an Roilants Tod. Und diese Frau, die du als deine Sklavin hältst, diese alberne Ziege, der kannst du befehlen, den Mund zu halten. Oder nicht?«
    Ein Lachen. »Ja. Du bist sehr klug, mein sanftes Liebchen.«
    Es folgten andere Geräusche und ihre nadelspitze Stimme: »Hier? Mein rustikaler Freund. Erinnerst du dich, wie du mich vergewaltigt hast, damals?«
    »Und du«, sagte er, »erinnerst du dich, wie gut es dir gefallen hat?«
    Ihr Lachen war so weich wie Katzenfell, und die grünen Schatten flossen ineinander.
    Der schimmernde Ozean, blau wie die Farben aus Tynt und mit einem Spitzenbesatz aus weißem Schaum, drang in Höhlen und Schächte und geheimnisvolle Gänge, füllte sie aus und zog sich wieder zurück. Der Tag sprang von der Küste und stürmte über das Wasser. Der Horizont trank die Sonne, eine Meeresgöttin, die ihr blutiges Opfer empfing.
    Diese Nacht auf Flor war erfüllt von dem Rauschen von Ebbe und Flut, dem Gesang von ein oder zwei Nachtigallen, metallischem Klirren, schabenden Geräuschen, einem unangenehmen Knirschen, einem Plumps, weiterem Schaben und Knirschen und dem Kratzen von Stein auf Stein.
    In Cassireia wären diese Geräusche wahrscheinlich kaum aufgefallen. Dort knallten die ganze Nacht hindurch Türen und Fensterläden, Berittene polterten im Auftrag des Gouverneurs durch die Straßen, Betrunkene grölten oder gaben das eben Genossene wieder von sich, Hunde beschwerten sich, und wahnwitzige Hähne, die durch das ständige Aufflammen neuer Lichter und gelegentlicher Brände völlig durcheinander gerieten, krähten pausenlos. Diesem Orchester hatte Roilant gelauscht wie auch schon während anderer schlafloser Nächte in dem Gasthaus neben dem Tempel. Als die Morgendämmerung sich ankündigte und die Hähne schon wieder zu schreien begannen, ob nun aus Verlegenheit oder beleidigter Würde, stand er auf, setzte sich hin und begann mit einem Brief an seine verlorene Geliebte in Heruzala. Aber ihm fiel nichts ein. Vor ihr beruhigendes, wohltuend normales Bild schob sich ein anderes. Eliset.
    Die Morgendämmerung, gemäß den Schriften des Propheten Hokannen, war eine Zeit der Reinheit und Unschuld unter den Geschöpfen der Erde. Der Löwe kam zur Tränke und labte sich dort gemeinsam mit dem Reh. Der Vogel stieg der Sonne entgegen, dem immer wiederkehrenden Wahrzeichen von Gottes Liebe und Vergebung. Der Sonnenaufgang brachte die Reinigung von allen Sünden. Man konnte ein neues Leben beginnen.
    In der Wüste, wo der Prophet, wie andere Propheten vor ihm, so lange gelebt hatte (vielleicht zusammen mit der bronzehaarigen Zilumi), war solch ein Bild vorstellbar. Der nahende Tag verlangte nichts weiter als Meditation, Gebet und innere Einkehr, hin und wieder bereichert durch einen räuberischen Ausflug zu den Nestern wilder Bienen oder den Verzehr hilfloser Heuschrecken.
    In Cassireia brachte die Morgendämmerung nichts als noch mehr Lärm, und schließlich legte Roilant seinen angefangenen Brief beiseite.
    Schwere Schritte auf der Treppe überzeugten ihn, daß er gut daran getan hatte. Lautes Klopfen an der Tür bestärkte ihn noch in der Überzeugung. Roilant öffnete, und ein großer Mann, der zur einen Hälfte aus Fett und zur anderen aus Muskeln bestand und die Spuren eines langen Rittes an sich trug, betrat den Raum.
    Unverkennbar handelte es sich bei ihm um den größeren Diener aus Heruzala, der den als Roilant verkleideten Cyrion nach Flor begleitet hatte. Außerdem konnte man in ihm den Verrückten wiedererkennen, der Cyrion auf dem Marktplatz von seinem Maultier gezerrt hatte und dem es dann nicht gelungen war, ihn mit einem entsprechend hergerichteten Dolch zu erstechen. Auf Cyrions Vorschlag hin hatte Roilant ihn in seine Dienste genommen.
    »Was«, fragte Roilant, »ist geschehen?«
    »Das Schlimmste«, erwiderte der angeheuerte Mann. Er sagte das nur aus Höflichkeit; denn ihm war alles gleich, solange er bezahlt wurde.
    »Was meinst du damit>das

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