Cyrion
Schlimmste«
»In der Hochzeitsnacht ist irgend etwas Merkwürdiges vorgegangen, jedenfalls nicht das, was man gemeinhin erwartet. Anschließend gab es ein großes Hinundhergelaufe. Am nächsten Tag war Mevary beschäftigt. Ich verlor ihn aus den Augen. Dann sah ich ihn alleine aus den Obstgärten kommen - da hatte er wohl auch eine Beschäftigung gehabt, mit ihr, nehme ich an. Komisch, wie manche die frische Luft lieben.. Dann wurde es Abend, und schließlich ging der Mond unter. Kurz darauf kamen vier Leute aus der Hintertür und gingen am Badehaus vorbei zum Friedhof. Sie öffneten eines der Gräber mit Eisenstangen. Dann legten sie einen Toten hinein.«
»Mein Gott. Wen?«
»Wen glaubt Ihr wohl?«
»Du meinst, er -«
»Es gab nur verdammt wenig Licht, aber ich saß auf diesem halbverfallenen Turm und hatte von oben gute Sicht. Ein kleiner Baum stand im Weg, aber es war einer von diesen spillerigen Dingern, und ich konnte gut zwischen den Ästen hindurchblicken. Ich konnte Euren Cousin Mevary erkennen und die zwei Bengel. Und sie war auch dabei; selbst ohne Mondlicht schimmerte ihr Haar wie eine goldene Fahne. Der Leichnam war in ein Laken gewickelt, aber es war überall zerrissen, und sein Gesicht war nicht verdeckt. Ich konnte genug sehen, um zu erkennen, daß er es war, und dann glitzerten auch die Ringe an seiner linken Hand. Er war schwer. Es gab Schwierigkeiten mit der Grabplatte. Sie mußte mit Hand anlegen. Dann schoben Mevary und die beiden Jungen die Platte wieder über die Öffnung und gingen.«
»Gütiger Gott, Bist du sicher?«
»So sicher, wie man nur sein kann. Ich saß nur sechs Meter über ihm und nur ein kleines Stück entfernt. Es war Cyrion, und er war so tot, wie ein Toter nur tot sein kann.«
Roilant setzte sich wieder. Seine Hände zitterten.
»Die Möglichkeit bestand. Er hat es selbst zugegeben.«
»Also hat er Euch für diesen Fall einen Plan hinterlassen?«
»Ja. O Gott! Ich hatte gehofft, mich heraushalten zu können. Und Cyrion - ich hielt ihn für unbesiegbar.«
»Ein schlauer Teufel«, stimmte der angeheuerte Mann zu, »aber auch Füchse gehen einmal in die Falle.«
»Ich habe schuld.«
Der angeheuerte Mann fühlte sich gelangweilt. Er war Soldat gewesen, und ein plötzlicher Tod war für ihn etwas Alltägliches und nichts, worüber man sich aufregte.
Nach eine paar Anweisungen schickte Roilant ihn in seine Unterkunft und lief in seinem Zimmer hin und her. Er hatte das scheußliche Gefühl eines Mannes, der unbeabsichtigt ein großes Unglück heraufbeschworen hat. Cyrion. Daß Cyrion tot sein sollte, war unglaublich. Roilant glaubte es nicht. Er dachte an die Geschichte des Karawanenführers über die Engelsritter. Wie Cyrion Besinnungslosigkeit vorgetäuscht hatte. Wenn das möglich war, konnte er dann nicht vielleicht auch seinen eigenen Tod vortäuschen?
Wäre Roilant Zeuge der Vorfälle auf der Dachterrasse gewesen, hätte er wohl auch diese Hoffnung fahren lassen. Ganz eindeutig war der Wein vergiftet gewesen, wer auch immer das bestreiten mochte. Und Cyrion hatte den ganzen Inhalt des Bechers in den Mund geschüttet und dann angestrengt geschluckt. Mit nur einer kleinen Menge Flüssigkeit im Mund konnte es vielleicht machbar sein, zu schlucken, ohne dabei etwas davon hinunterzuschlucken. Aber Cyrion hatte alles auf einmal hinabgewürgt. Auch durfte man Mevarys Bemerkung nicht außer acht lassen: »Schon ein Schluck genügt.« War das Gift wirklich so stark (und viele waren es), hätte es ohnehin nichts genützt, es wieder auszuspucken. Schon der winzige Rest des Mittels, der sich in der Mundhöhle und auf der Zunge mit Speichel vermischte, wäre tödlich gewesen.
Was dann später hinter der verschlossenen Tür von Elisets Zimmer geschah, hätte Roilant noch zusätzlich verunsichert. Dort hatte man Cyrions Leichnam nach allen damals bekannten Lebenszeichen untersucht. Aber der schlaffe Körper reagierte weder auf Schläge, noch Kitzeln, Feuer und Nadelstiche und der Spiegel, den man ihm vor das Gesicht hielt, blieb völlig klar.
Es gab noch etwas, das Cyrions Überleben unmöglich machte. Ein Lebender, den man in das luftdichte Grab legte, mußte unweigerlich ersticken. Drei Paar Hände und Stemmeisen waren nötig gewesen, um die Deckplatte zu bewegen. Jemand, der diese Unterkunft zu verlassen wünschte, sah sich einigen Schwierigkeiten gegenüber. Ob nun tot oder lebendig, Cyrions Zukunft sah nicht sehr rosig aus.
Jhanna hatte geweint, heftig, aber lautlos,
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