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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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an den Hals gefaßt, an die Seite und war dann ohnmächtig vom Stuhl gesunken. Aus der Ohnmacht entwickelte sich ein tobendes Fieber, und das Fieber führte zu tiefer Bewußtlosigkeit. Ihr glühendheißer Leib wurde eiskalt, ihr rasender Puls begann zu flattern, sie schrie laut vor Schmerz und war denn still. Naldinus behandelte sie, aber all seine Kunstfertigkeit war umsonst, sie starb um Mitternacht.
    Daß sie einem schnellwirkenden Gift erlegen war, bezweifelte keiner der Hinterbliebenen. Vielleicht war ihr das tödliche Mittel während des Essens beigebracht worden. Radri hatte die Speisen aufgetragen, da es sonst keinen Diener mehr im Hause gab, aber es konnte durch den Tod seiner Herzliebsten nichts gewinnen, nur alles verlieren. Auch gab es noch andere, die ihr die Schüsseln angereicht hatten; Jolan zum Beispiel hatte ihr Wein eingeschenkt, kurz bevor sie zusammenbrach. Dann war da Sabara, die in Marivals Zimmer gegangen war. Bei den magischen Kräften der Familie gab es mehr als genug Möglichkeiten, jemanden zu töten. Ein vergifteter Ring, ein präparierter Handschuh, selbst in einem Parfumflakon konnte sich der Tod verbergen. Es war denkbar, daß Sabaras Haß die Überhand gewonnen hatte. Vielleicht hatte sie selbst Absichten auf Radri gehabt Radris Bericht wurde aber von einem leisen, doch rasiermesserscharfen Lachen aufrichtiger Belustigung unterbrochen. Mit einem Ausdruck geringschätziger, stählerner Heiterkeit wandte Sabara ihm den Rücken zu.
    »Oder«, schrie Radri, »die Hündin rannte zu ihrem Bruder, und Fürst Jolan, verdammt sei sein schlappes wertloses Fell, ergriff die Gelegenheit, sich auf diese Art an uns zu rächen.«
    »Ich danke Euch«, bemerkte Cyrion mit allergrößter Höflichkeit. »Wer will als nächster seine Geschichte erzählen?«
    Die leichte Betonung des Wortes>Geschichte    Um es von Anfang an klarzustellen, so sagte er und begann eine unruhige Wanderung durch die Grabkammer, stimmte es nicht, daß Radri für irgendeinen von ihnen mehr gewesen sei als ein Diener. (Radri fluchte nachdrücklich und mit melodramatischer Leidenschaft.) Sicher war Jolan ihm freundlich gegenübergetreten, aber nur, weil es nicht seine Art war, Untergebene herablassend zu behandeln. (Radri johlte höhnisch.) Daß es Radri nach Marival gelüstete, hatte Jolan schließlich bemerkt, aber aus Taktgefühl versucht, darüber hinwegzusehen. Er vertraute darauf, daß der Verwalter seine unangebrachte Begierde beherrschen würde. Und Marival, die daran gewöhnt war, von jedem, der sie sah, angebetet und verehrt zu werden, bemerkte wahrscheinlich gar nichts davon. Dann begann Jolan zu vermuten, daß Radri, statt schweigend zu leiden, versuchte, sich Marival aufzudrängen. Sobald er merkte, wie die Dinge sich entwickelten, beschloß Jolan, etwas zu unternehmen. Er verhandelte über eine Eheschließung zwischen Marival und einem der reichsten und vornehmsten Männer der Stadt, zu der Marival freudig ihre Zustimmung gegeben hatte. Eines Morgens hatte er Radri überrascht, wie er versuchte, das Mädchen zu vergewaltigen. Marival war so beschämt und verzweifelt, daß sie kaum etwas hatte sagen können. Im ersten Zorn wollte Jolan den Mann augenblicklich davonjagen, aber seine unterwürfige Bitte um Vergebung, der Anblick von Radri, wie er vor Zerknirschung und Reue buchstäblich auf die Knie fiel, und die Erinnerung an die vorangegangenen Jahre treuer Dienste, veranlaßten Jolan, seine Entscheidung hinauszuschieben. (Radri gab einen Laut von sich, der bestimmt nichts mit Tränen der Dankbarkeit zu tun hatte.)
    »Dann«, sagte Jolan laut mit seiner rauen, belegten Stimme, »griff das Schicksal ein. In den ärmeren Vierteln von Teboras brach eine Seuche aus. Sie verlief ausnahmslos tödlich. Solche Krankheiten können sich ausbreiten wie ein Waldbrand, und wer es sich leisten kann, flieht aus der Stadt. Aber damit überläßt er seinen Besitz der Gnade der Plünderer. Deshalb sandte ich unsere Diener auf ein mehrere Meilen von der Stadt liegendes Gut meines Vaters. Dieses Haus hier ist durch einen eigenen Brunnen unabhängig, und ich versorgte uns eilig mit einem Vorrat an Brot und Fleisch. Wie viele andere, die dazu in der Lage waren, hatte ich vor, mich und meine Familie in diesem Haus einzuschließen und keine Verbindung nach draußen aufzunehmen, bis die Seuche sich ausgetobt hatte. Als Radri sich weigerte, mit den anderen Dienern zu gehen, was sollte ich

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