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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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recht, selbst das Wetter war zu heiß, dabei war es eigentlich mild; selbst der Wein schmeckte sauer. Sie konnte es kaum erwarten, Jolan und Radri mit gezückten Klingen aufeinander losgehen zu sehen. Sie versuchte alles, um einen Zweikampf herbeizuführen.«
    »Und seid Ihr«, fragte Cyrion im Gesprächston, »zu Eurer
    Schwester gegangen, nachdem Radri sie verlassen hatte?«
    Vor Sabaras Augen senkte sich ein Schleier der Wachsamkeit. Sie verhielt sich sehr still, als sie sagte:
    »Ja, ich wollte sie bitten, den Unfrieden in unserem Haus zu beenden. Nur sie konnte es tun. Aber sie wollte nicht.«
    »War das die Gelegenheit, bei der der Wein sauer schmeckte?«
    Sabaras Augen und Lippen wurden schmal.
    »Sie behauptete es.«
    »Vielleicht«, meinte Cyrion leichthin, »war etwas in ihren Becher gefallen?«
    Sabara zuckte zusammen. Der Widerschein der Kerzen auf ihrem goldenen Kragen flackerte im Rhythmus ihres Pulsschlags.
    »Beschuldigt Ihr mich?«
    Cyrion lächelte entwaffnend.
    »Wie könnte ich? Da ist noch jemand, den es anzuhören gilt.«
    Der Priester Naldinus schien mit den Schatten neben dem Bett verschmolzen zu sein und war fast so unsichtbar wie die verschwundene Tür des Grabmals. Jetzt, mit einem leichten Erschauern, schüttelte er die Dunkelheit ab und glitt ein oder zwei Schritte vorwärts, wie auf geölten Gleitschienen.
    »Ich bin, Herr, durchaus bereit zu sprechen. Aber es besteht wirklich nicht die geringste Möglichkeit, daß irgendein Verdacht auf mich fällt. Ich hatte durch einen Mord an der Lady Marival nichts zu gewinnen. Ich bin hier nur in meiner Eigenschaft als geistlicher Beistand dieses Hauses und sein Arzt. Ich habe sie alle behandelt, im Laufe der Zeit.«
    »Eben deshalb«, sagte Cyrion. »Erzählt mir von Eurem Wissen über Kräuter.«
    Naldinus vollführte eine bescheidene Handbewegung. Sein
    winziger roter Mund saugte die Luft ein und erinnerte dabei fatal an eine jener Blumen, die ihre Blätter um Insekten schließen und sie anschließend verdauen.
    »Ich betrachte mich als Experimentator und Erneuerer. Ich verbringe einen großen Teil meiner Zeit damit, alte Schriften zu studieren. Ihr wäret erstaunt über den Reichtum an Wissen, den man sich aneignen kann, wenn man bei solchen Forschungen rückwärts schreitet, statt voran.«
    »Nicht unbedingt«, erwiderte Cyrion. »Die Einbalsamierung dieser Dame ist eine beeindruckende Leistung. Habt Ihr die ganze Prozedur selbst durchgeführt?«
    »Aber ja. Der Uneingeweihte würde sie etwas unangenehm finden, fürchte ich.«
    »Aber Ihr seid darin eingeweiht?«
    »Ich habe solche Arbeiten schon vorher durchgeführt. Oh, nicht an Menschen, versteht mich recht. Aber an Tieren, als Experiment.«
    Cyrion schien fasziniert.
    »Als wahrer Gelehrter seid Ihr natürlich in der Lage, Euch über so kleinliche Bedenken wie etwa die - dazu noch äußerst fraglichen - Schmerzen des Subjekts hinwegzusetzen. So viele kluge Männer haben sich von solch dummen Überlegungen abhalten lassen. Und das Ergebnis - nichts.«
    »In der Tat.« Naldinus lächelte, sein kleiner Mund dehnte sich bis zum Gehtnichtmehr. Sein melancholisches Gesicht erhellte sich. »Natürlich wünscht man nicht, irgendeinem Lebewesen unnötigen Schmerz zuzufügen - aber ich kann hart sein, wo es sein muß.«
    »Immerhin«, fügte Cyrion hinzu, »wurden die Tiere erschaffen, um den Menschen zu dienen. Ihre dekorativen Eigenschaf t en sind purer Zufall.« Naldinus strahlte. Eine verwandte Seele! Jeden Augenblick konnte sein Mund die Grenzen seiner Dehnbarkeit überschreiten. »Aber sagt mir«, fragte Cyrion, und der Priester beugte sich bereitwillig vor, »seid Ihr nie von der großen sinnlichen Ausstrahlung der Lady Marival in Versuchung geführt worden?«
    Naldinus’ Züge versteinerten, erstarrten.
    »Herr. Ich bin ein Priester. Ich lebe im Zölibat.«
    »Zugegeben. Aber wenn sie, wie bereits angedeutet wurde, von dem gesamten männlichen Geschlecht ihren Tribut verlangte, seid vielleicht auch Ihr nicht von ihren Bemühungen verschont geblieben.«
    Naldinus sagte stolz und kalt: »Also will ich es zugeben. Sie versuchte ihre Ränke auch bei mir. Aber für einen Mann, dessen Verstand seine fleischlichen Begierden überwiegt, war es nicht schwer, ihr zu widerstehen.«
    »Ganz recht. Weit erstrebenswerter, eine lebende Maus zu sezieren, als vor dem Honigtopf einer Frau den Bären zu spielen.« Naldinus blinzelte. »Und trotzdem«, beharrte Cyrion, »versuchte sie, Euch zu verführen. Oder

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