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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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es nicht ernst meinten? Und dieselben Zauberkräfte sind auch in der Lage, Euch in dieser Kammer festzuhalten, als unser Gefangener, bis Ihr getan habt, worum wir Euch bitten, nein, was wir von Euch verlangen. Versucht die Tür.«
    Cyrion blickte sich fragend um. Die durch Magie veränderten (wenn es so war) Bewohner des Hauses betrachteten ihn eindringlich. Um ihnen gefällig zu sein, trat er an die Tür der Grabstätte und bewegte den Griff. Die Tür öffnete sich nicht. Nicht nur das. Nach dem dritten Rütteln verschwand sie, langsam, aber unaufhaltsam. Die Mauer war leer, der Griff Luft - vielleicht war es nur eine Sinnestäuschung, aber von der Art, die Augen, Ohren und Tastsinn beeinflußte. Die betäubende Stille völliger Abgeschlossenheit breitete sich in dem Grab aus. Die Mauer war glatt und eben unter Cyrions Handfläche.
    Cyrion drehte sich um und betrachtete seine Gefängniswärter mit gelassener Ruhe.
    »Mit der Hilfe Eurer magischen Kräfte solltet ihr selber herausfinden können, wer von Euch Marival tötete.«
    »Wo Emotionen in die Magie einfließen, wird sie unzuverlässig und nutzlos«, sagte Jolan. »Wir konnten nicht - waren nicht in der Lage -«
    »Wir brauchen«, bemerkte Naldinus zuvorkommend, »einen unparteiischen Helfer. Wenn Ihr wollt, betrachtet es als ein Geschick, das uns auferlegt ist. Wir können uns selbst nicht helfen, dennoch warten wir verzweifelt auf Hilfe. Selbst der Mörder«, ein Schleier senkte sich über Naldinus’ verschlagene, bekümmerte Augen, »selbst er - oder sie - wartet vielleicht verzweifelt darauf, überführt zu werden. Entlarvt zu werden.«
    »Angenommen, ich finde heraus, wer von Euch der Missetäter ist und dieser Missetäter, entgegen Euren Hoffnungen, Vater, weigert sich zu gestehen?«
    »Man hat uns - ein Zeichen versprochen«, sagte Jolan und wich Cyrions Blick aus. »Ein unmißverständliches Omen, sobald die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Ihr müßt sie nur herausfinden.«
    »Und vergeßt nicht«, fügte Sabara hinzu, »das Gold, Silber und die Juwelen, die Eure Belohnung sein werden.«
    »Und wenn ich mich irre?« Die hölzerne Stille vertiefte sich. Cyrion lauschte ihr einen Augenblick und sagte dann: »Der Grund, warum ich das erwähne, ist die gar nicht so abwegige Erkenntnis, daß Ihr schon häufiger mitternächtliche Spaziergänger eingeladen habt, für Euch den Richter zu spielen. Und da jetzt ich hier bin, bleibt nur der Schluß, daß meine Vorgänger erfolglos waren. Worin also besteht Eure Belohnung für Mißerfolg?«
    Radri, der Verwalter, grinste ihn über die von Kerzen erleuchtete Grabkammer hinweg an.
    »Tod.«
    Inzwischen wäre es jedem klargeworden, daß diese Familie nicht nur exzentrisch, sondern vollkommen verrückt war. Bei dem dauernden Brüten über den Mord waren ihre Gehirne sauer geworden wie alte Milch. Es schien, daß sie immer wieder töten würden, gewissenlos, um dieses erste Verbrechen auszutilgen, das für sie eine so ungeheure Bedeutung angenommen hatte.
    Man konnte diese Drohung für eine faule Lüge halten, schlimm genug aus dem Munde verrückter Zauberer. Aber Cyrion hatte die Gerüchte über die Menschenknochen neben dem remusischen Tempel nicht vergessen. Geschichten von Gespenstern waren eine Sache; hier lag vielleicht ihr wahrer und grausiger Ursprung.
    Cyrion lächelte sein bezauberndsten Lächeln und setzte sich mit schlichter, unnachahmlicher Eleganz auf den nächsten Stuhl.
    Die Mitglieder dieser zweifelhaften Familie warfen sich unbehagliche Blicke zu. Wie viele Opfer sie auch immer in diese Falle gelockt hatten, so war es nie gewesen.
    »Nun«, meinte Cyrion, mit einem Hauch charmanter Ungeduld, »dann solltet Ihr jetzt anfangen, meine Freunde. Einer nach dem anderen, ein Bericht über Eure Beziehungen zu der Toten und ihren letzten Nachmittag in Eurer Gesellschaft. Ich werde Fragen stellen, wo ich es für nötig halte.«
    Es folgte ein kurzer, aber heftiger Streit. Schließlich blieb es Radri überlassen, den Anfang zu machen.
    Radri war, erklärte er, Soldat gewesen, und auf dem Schlachtfeld hatte er erstmals unter Jolans Vater gedient. Später hatte dieser Fürst ihn als Verwalter in sein Haus geholt, wo Radri mehr als Verwandter denn als Diener behandelt wurde. Die Nachkommen des Fürsten, Jolan, Sabara und das älteste Kind, Marival, hatten diese Gewohnheit beibehalten. Tatsächlich hatte Marival, deren Schönheit Stadtgespräch war, Radri besondere Gunst bezeigt. Ja, Marival, die unter den

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