Cyrion
was sein Beruf war, seine Berufung oder sein Stand, oder wie er aussah, Marival mußte ihn vor sich auf Knien sehen. Und ihn anschließend in ihr Bett locken.« Hinter ihr grollte Radri; Jolans Schluchzen wurde lauter, aber Sabara kümmerte sich nicht darum. »Ihr müßt nicht denken«, fuhr sie fort, »daß mich ihr Mangel an Anstand störte. Sie war eine Hure, ohne die Aufrichtigkeit einer Hure, aber dafür verdamme ich sie nicht.«
»Nein«, höhnte Radri. »Du verdammst sie für ihre Schönheit, du dürre Kröte.«
»O nein. Dafür haßte ich sie, für ihre Schönheit. Weil kein Mann, der dieses Haus betrat, einen Blick für mich hatte, wenn er sie anschauen konnte; weil ich seit meinem dreizehnten Lebensjahr um die wenigen Männer betrogen wurde, von denen beachtet zu werden ich mir gewünscht hätte - ja, dafür hasse ich sie. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich sie verdamme.«
Sabara verdammte Marival, erklärte sie, für den Unfrieden, den Marival in ihrem eigenen Haushalt gestiftet hatte. Die Kammerdiener, die Gärtner, die Küchenjungen verführte sie der Reihe nach und ließ sie fallen, was zu ständigen Zwistigkeiten und Prügeleien führte. Sabara verdammte Marival für die sträfliche Nachsicht, die sie sich erschmeichelt hatte, erst von ihrem Vater und dann von ihrem Bruder Jolan. Denn auch Jolan war zu einem liebeskranken Anbeter geworden, so hoffnungslos und rasend wie alle anderen.
»Ich weiß nicht«, meinte Sabara kühl, »ob er je mit ihr geschlafen hat, aber es würde mich nicht überraschen. Und ich hätten auch keinen Anstoß daran genommen, wäre sie nicht die gewesen, die sie war. Aber Radri und Jolan aufeinander zu hetzen -«
Radri war Marivals Favorit gewesen, wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, das er ein bäuerischer und rücksichtsloser Grobian war. Unter den Heerscharen von Männern, mit denen Marival ihre Spiele trieb, war er der einzige, der sie rau behandelte, und diese neue Erfahrung mußte köstlich gewesen sein. Aber schließlich vermochte auch Radris schlechtes Benehmen sie nicht mehr zu fesseln. Also ließ Marival es geschehen, daß das Geheimnis offenbar wurde, von dem nur Jolan, blind vor Liebe, nichts gewußt hatte. Sie richtete es ein, daß Jolan sie und Radri zwischen den Sträuchern an der Mauer überraschte. Sie sorgte dafür, daß Radri hören konnte, wie sie zu Jolan schlecht über ihn sprach. Marival jammerte danach, mit einem reichen Adligen verheiratet zu werden. Sie erzählte Radri, daß Jolan für sie eine Heirat mit einem Mann arrangieren würde, der nicht so ein Schwein wäre wie Radri, dessen Kunststücke im Bett ihr Übelkeit verursachten; sie erzählte Jolan, er sei ein Muttersöhnchen, bei dessen Beerdigung sie in Radris Armen tanzen würde. Auf ihre Art waren die beiden Männer einmal Freunde gewesen. Sie machte dem ein Ende. Marival brachte sie zu einem Punkt, an dem jeden Augenblick einer den anderen erschlagen konnte. Oder sie. Oder jeder von ihnen den Rivalen und die Frau. Es wir nur eine Frage der Zeit gewesen. Und Marival hatte es genossen.
»Ich befürchte«, schloß Sabara, »daß ich in diesem Haus die Zeugin gewesen bin. Ich blieb meistens unbeachtet, aber ich habe alles gesehen. Wer immer sie getötet hat, wagt es nicht zuzugeben, weil er den Haß der anderen fürchtet. Aber ich sage, er hat uns einen Dienst erwiesen. Sie war eine Teufelin. Sie war verantwortlich für den Tod der Unglücklichen, die sich selbst das Leben nahmen oder ihre Rivalen töteten, alles aufgrund ihrer Einflüsterungen. Oder sie ruinierte ihr Leben so gründlich, daß jeder von ihnen heute ein lebender Toter ist. Ich habe es oft miterlebt. Sie hätte noch mehr und größeres Unheil angerichtet. Ihr Hochmut und ihre Verderbtheit wuchsen. Nein, wer immer sie tötete, er sollte nicht verurteilt werden. Sie verdiente Gift. Es war nötig, unvermeidlich, daß sie aus der menschlichen Gesellschaft entfernt wurde.«
Stille trat ein. Sahara senkte den Kopf.
Cyrion meinte ruhig:
»Und habt Ihr bei dem Streit zwischen Radri und Eurer Schwester gelauscht?«
»Das war nicht nötig. Ich hörte das Geschrei durch den ganzen Garten. Wie sonst könnte ich wissen, wie sie seine Bettgewohnheiten beschrieb? Und später hörte ich einen ähnlichen Wortwechsel zwischen ihr und unserem Bruder. Sie hatte kräftige Lungen, meine Schwester, zwei solche Schlachten an einem Tag auszufechten. Obwohl ich mich entsinne, daß sie an diesem Tag besonders reizbar war. Nichts war ihr
Weitere Kostenlose Bücher