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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Sommerhaus halten können, aber daß es keine Fenster hatte, verriet seine wahre Bestimmung: Es war ein Grabmal.
    »Ihr dürft nicht erschrecken«, sagte Jolan rasch. Er warf einen Blick in Cyrions Gesicht, das aber nichts weiter ausdrückte als höfliche Aufmerksamkeit, obwohl Radri eben daranging, die Tür der Grabstätte zu öffnen. Vielleicht bemerkte der Gast, wie beinahe gewohnheitsmäßig das alles vor sich ging: seine Begrüßung, der Weg durch den Garten und wie seine Gastgeber jetzt der Reihe nach durch die Tür gingen. Als wäre es nicht das erste Mal, daß so etwas geschah. Als wäre es schon oft geschehen.
    Das Innere der Grabstätte war gleichfalls ungewöhnlich, hauptsächlich, weil es wie ein Schlafzimmer hergerichtet war. Auch hier gab es Fresken und Wandbehänge, Lampen und Kerzen, die Radri jetzt eine nach der anderen entzündete. Es gab gepolsterte Ruhebetten, Stühle und kleine Tische und Teppiche. Ein Himmelbett mit geschlossenen Vorhängen beherrschte den Raum. Jolan trat an das Bett und zog die Vorhänge beiseite. Dann verkündete er mit seiner rauen Stimme, die jetzt noch heiserer klang: »Meine zweite, ältere Schwester, Marival.«
    Sie lag auf den bestickten Laken. Das runde Kinn war eine wenig geneigt, ihre warmen Lippen lächelten, ihre kaum bedeckten Brüste schimmerten, als wären sie eben erst liebkost worden. Ihre Haut war weißer als Marmor, das dunkle Haar für die Nacht gelöst. Sie war nach einer längst vergangenen Mode gekleidet, in der ihre Schönheit vollendet zur Geltung kam, und so reich geschmückt, daß es überladen gewirkt hätte, wäre sie noch am Leben gewesen. Aber da sie unzweifelhaft tot war, konnte selbst ein Künstler kaum etwas daran auszusetzen haben.
    Jolan lehnte sich gegen die Mauer und begann zu schluchzen. Radri fluchte und vermied es, einen Blick auf das Bett zu werfen. Der Priester murmelte irgendein unverständliches Gebet. Sabara, die lebende Schwester, trat vor und wandte sich an Cyrion: »Sie ist wunderschön, oder nicht? Findet Ihr sie reizvoll? Jeder fand das. Schöne Marival. Herrliche Marival. Haltet Ihr sie für schön und herrlich?«
    »Ich halte sie«, erwiderte Cyrion, »für tot.« »O ja. Aber ihr Glanz lebt weiter. Seht meinen Bruder an, er weint wie ein Kind. Und hört, wie Radri flucht. Selbst Naldinus bleibt nicht unberührt.«
    »Und Ihr?« fragte Cyrion.
    »Ich«, antwortete Sabara, »bin eifersüchtig auf sie, sogar jetzt noch.«
    Der Priester richtete zum erstenmal das Wort an Cyrion.
    »In diesem Haus, Herr, kennt man gewisse Zauberkräfte, bestimmte Künste. Als Marival starb, gebrauchte ich eine bestimmte Medizin aus Aigum, in deren Handhabung ich bewandert bin, um sie einzubalsamieren und ihren Leib vor Verwesung zu schützen.«
    »Sie starb also, und Ihr habt sie einbalsamiert«, meinte Cyrion. »Ich sehe nicht recht, weshalb in diesem Zusammenhang ein Urteilsspruch nötig sein sollte.«
    Jolan fuhr herum, seine Augen brannten.
    »Einer von uns, einer von uns vieren, die sich hier mit Euch in diesem Raum befinden, hat sie getötet. Einer von uns hat Marival vergiftet. Ihr müßt entscheiden, wer.«
    »Muß ich?« Cyrions Unglaube war grenzenlos.
    Jolan rieb sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen.
    »Ja. Ihr müßt. Für eine Umkehr ist es zu spät. Einer von uns ist krank vor Schuld und will nicht, kann nicht - gestehen. Wir alle brennen in der Hölle, und Ihr müßt uns befreien. Ihr müßt herausfinden, wer von uns der Mörder ist.«
    Cyrion war rührend arglos. »Wie?«
    »Indem wir Euch einen Bericht über unsere Taten und Handlungen an dem Nachmittag ihres Todes geben.«
    »Ich vermute«, wandte Cyrion ein, »Euch wäre besser gedient, wenn Ihr Euch um Wiedergutmachung an das Gesetz wenden würdet. Der Stadthalter von Teboras soll ein fähiger Mann sein, habe ich gehört. Oder Ihr könntet Euren Fall dem König in Heruzala vortragen -«
    »Nein. Das Gesetz ist für uns nutzlos.«
    »Höchstwahrscheinlich ich auch.«
    Jolan lächelte unangenehm, und jetzt paßte seine Erscheinung zu seiner wenig schönen Stimme.
    »Ihr habt keine Wahl mehr. Naldinus sprach von Künsten und Zauberkräften, die in dieser Familie bekannt sind, und er sprach die Wahrheit. Ich will Euch jetzt verraten, daß dieses Haus nicht so ist, wie Ihr es seht, ebenso verhält es sich mit uns. Selbst unsere Namen wurden geändert, um sicherzustellen, daß Ihr dieses Haus ohne Vorurteile betretet. Warum sollten wir uns solche Umstände machen, wenn wir

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