Cyrion
Bruchteil einer Sekunde nach diesen Worten, sprang er leichtfüßig wie eine Katze aus der Tür und die Treppe hinab.
In einem plötzlichen Anfall von Zimperlichkeit verzichtete Juved darauf, durch Kristall oder Fenster den wandernden Sand zu beobachten, oder die in der Abenddämmerung liegende Oase.
Grell wie ein Signalfeuer in der heraufziehenden Nacht wartete Cyrions zweites Ich, geboren aus Zilumis Bronzespiegel.
Es war, wie Juved vorhergesagt hatte.
Plump im Gegensatz zu Cyrions hoher Gestalt, fett für seine Schlankheit, grotesk für seine Anmut, abstoßend für seine Schönheit. Auf der schleimigweißen Umkehrung eines Kopfes schwarze Strähnen, das Gegenteil von Cyrions Haar. Und an seiner krallenbewehrten linken Tatze eine Parodie seiner Ringe und in der rechten eine Art Schwert, am Griff breiter als an der Spitze und mit einem Schimmer von Verwesung.
Und es grinste, kicherte, lockte. Ein albernes Lächeln ließ all seine Zahnstümpfe sehen und es schwebte durch die Dunkelheit auf ihn zu wie ein leuchtender Ball aus Unrat.
Aber es war natürlich auch schwerfällig für seine Schnelligkeit, unbeholfen für seine Gewandtheit.
Mühelos sprang Cyrion zur Seite, packte die schwarzen Strähnen und schnitt sie ab. Das Ding stürzte, und schimmerndes weißes Blut strömte über den Boden. Noch zweimal hieb das Stahlschwert zu und sämtliche Krallen lagen zwischen den nächtlichen Oleanderbüschen. Es heulte in Todesqual. Und Cyrion spürte seinen Tod. Den Tod, der auch sein eigener sein würde. Aber es war nicht zu merken, daß er ihn spürte, wie es doch sein mußte. Seine schwindende Kraft war nebensächlich, blieb unbeachtet.
Er lief zu dem Turm. Da der Schutzzauber aufgehoben war, hielt nichts ihn auf. Seine Füße verursachten kaum einen Laut, als er mit jedem Sprung drei, vier Stufen nahm. Was sich an Geräuschen nicht vermeiden ließ, wurde von dem Kreischen des Unholds draußen übertönt.
Juved erwartete ihn nicht oder wenn, dann nicht auf die Art, die er für sein Erscheinen gewählt hatte. Wie ein Pfeil schnellte Cyrion durch das Zimmer. Einen Augenblick lang stand der Magier wie erstarrt. Und im nächsten schmetterte der magische Kristall, den Cyrion sich im Flug gegriffen hatte, gegen seine Stirn.
Juveds Erwachen war von beträchtlicher Übelkeit und Verwirrung begleitet. Obwohl er sich an alles Vorangegangene erinnern konnte, den Spiegel, den Trick, Cyrion und den Kristall, wurden diese Erinnerungen von den erbarmungslosen Schmerzen in seinem Schädel und der großen Menge Salz getrübt, die sorgfältig in seine Lippen, Zunge und Gaumen gerieben worden war. Würgend und spuckend stemmte Juved sich auf, griff nach dem Weinbecher auf dem Tisch und hatte schon einen Schluck getrunken, bevor er es verhindern konnte. Pech für ihn, denn auch der Wein war verdorben. Der gesamte Inhalt der Gewürzschalen war in den Becher und den Krug geschüttet worden, nicht nur das Salz diesmal, sondern auch Zimt und Pfeffer, Muskatnuß und Ingwer. Die Übelkeit forderte augenblicklich ihren Tribut.
Erleichtert, aber zitternd, mit tränenden Augen und knochentrockener Kehle, stieg Juved vorsichtig die Treppe hinunter. Cyrions kindische Rache verblüffte ihn. Er war ärgerlich darüber, daß ein junger Mann von solch einzigartiger Erscheinung seinen Tod nicht heldenhaft oder wenigstens gelassen hingenommen hatte. Aber dieser Streich mit Gewalt und Gewürzen - Juved übergab sich ausgiebig und stolperte hastig in das kühle, nächtliche Schweigen der Oase.
Der Mond hing über den Palmen, scharf umrissen wie in Elfenbein geschnitzt und überzog das Wasser des Teiches mit einem wunderbaren Schimmer.
Trotz Cyrions Streich war Juved schlau und erfolgreich gewesen. Es gab nichts mehr, das er zu fürchten hatte. Eine vorübergehende Übelkeit anstelle eines grausamen Todes, was hieß das schon!
Äußerst zufrieden mit seiner Philosophie, kniete Juved neben dem Teich nieder und bückte sich. Von einem matten Schimmer zwischen den Oleanderbüschen wandte er geflissentlich den Blick ab. Bald würde das entsetzliche Ding endgültig tot sein und verschwinden. Cyrions Leichnam war glücklicherweise nicht zu sehen. Wenigstens hatte der Schwertkämpfer so viel Anstand gehabt, sich in die Wüste zu schleppen und dort zu sterben.
Dankbar kostete Juved die kühle Flüssigkeit des Teiches. Trotz eines leichten Schwindelgefühls, das von seinem verdorbenen Magen herrührte, trank er langsam und mit einem wachsenden Gefühl der
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