Cyrion
solcherart für eine Zeitlang gestillt war, ließ es mich in Frieden und gestattete mir sogar, mich eine kurze Strecke von diesem Ort zu entfernen, obwohl es nie weit hinter mir war. Kürzlich erst besuchte ich eine in der Nähe gelegene Quelle und vergiftete sie mit Salz, was mir dabei half, noch mehr Opfer an diese Wasserstelle zu locken. Was das zweite Mittel betraf, so hatte ich nie daran gedacht, es anzuwenden, teilweise, weil dazu erforderlich war, eine weitere Person in diesen Turm zu bringen, wozu ich den magischen Schutz hätte aufheben müssen. Außerdem stürzte sich der Unhold auf jeden, der hier herkam. Sie kamen nie bis zu meiner Tür, selbst wenn ich versucht hätte, sie einzulassen.
Und dann, guter Herr, kamt Ihr. Euch gelang es, das Rätsel um die Unverwundbarkeit des Ungeheuers zu lösen und es an den Rand des Todes zu bringen - welcher Tod natürlich - so eng verbunden wie wir waren - auch der meine gewesen wäre. Daher die Schnelligkeit, mit der ich zur Stelle war, mein Wunsch, Euch zu bewirten, mein Bemühen, Euch in den Raum zu schicken, in dem der Bronzespiegel hing. Denn das zweite Mittel zu meiner Rettung ist dieses: sollte ein anderer nach mir in den Spiegel schauen, verliert er seine Seele im Tausch für die meine: sein innerstes Selbst wird aufgesogen und meines freigegeben: mein gespenstisches Zerrbild löst sich auf und seines wird erschaffen. Und wie wird es in Eurem Fall aussehen, heldenmütiger Fremder? Plump für Eure Größe, fett für Eure schlanke Gestalt, weiß für Eure Sonnenbräune, schwarz für Euer flächsernes Haar, häßlich für Eure Schönheit. Schaut aus dem Fenster. Sagt mir, ist es nicht so?«
»Ihr könnt es selbst beurteilen«, sagte Cyrion. »Seid versichert, das habe ich. Aber ich glaube, Ihr sucht nach einem Ausweg, gütiger Herr. Ich sollte Euch einiges erklären. Zuerst einmal mag Euch der Gedanke gekommen sein, daß derselbe Wechsel wieder stattfinden würde, sollte es Euch gelingen, mich dazu zu bringen, noch einmal in den Spiegel zu schauen. Eure Seele wäre frei, meine gefangen. Da habt Ihr ganz recht. Allerdings habe ich während meines erzwungenen Aufenthaltes hier Zaubersprüche gefunden und vorbereitet, für den unwahrscheinlichen Fall, daß jemand kommen und meinen Feind töten sollte, wie Ihr es getan habt. Sollte ich noch einmal in den Spiegel sehen, brauchte ich nur eine bestimmte Formel zu sprechen, um mich vor seinem Zauber zu schützen. In völliger Sicherheit kann ich vor dem Spiegel stehen, vorausgesetzt, die Formel ist gesprochen oder wird auch nur in Gedanken wiederholt. Meine Zunge zu verstümmeln wird Euch nichts nützen. Und es gibt keinen Weg, auf dem Ihr mich dazu bringen könnt, in den Spiegel zu schauen, ohne daß ich es merke. Ist er nämlich so verborgen, daß ich ihn vielleicht übersehe, hinter einem Vorhang oder dicken Tuch, gibt es auch kein Spiegelbild, und der magische Austausch kann nicht stattfinden. Mag sein, daß Ihr glaubt, meine Zauberformeln auf andere Art umgehen zu können, indem Ihr mich betäubt und dann vor den Spiegel schleppt. Aber auch das wäre sinnlos. In Schlaf oder Bewußtlosigkeit ist die Seele eines Menschen von seinem Körper getrennt und kann von der Bronzeplatte nicht aufgenommen werden. Sobald ich mein Bewußtsein wiedererlangt hätte, würde ich die Formel aufsagen und damit den Zauber unwirksam machen. Da es also keinen Ausweg gibt, rate ich Euch, Euch in Euer Schicksal zu ergeben. Und Euch auf Euren Tod vorzubereiten.
Ihr könnt nicht, wie ich es tat, Blut und Leben eines anderen für das Eure bieten. Ich bin das einzige andere mögliche Opfer. Und wenn ich auch machtlos gegenüber der Erscheinung war, die der Spiegel aus mir selbst erschaffen hatte, bin ich nicht machtlos gegenüber der Erscheinung eines anderen und habe mich durch meine Zauberkraft geschützt. Außerdem habe ich die Schutzzauber um den Turm aufgehoben, so daß Euer Spiegelbild eindringen und Euch töten kann. Ich bin der Meinung, daß schon zu viele Unschuldige gestorben sind. Ihr habt mir die Freiheit gebracht, und Euer Tod soll der letzte sein. Deshalb, je schneller, desto gnädiger. Ihr könnt Euch selbst Eurem Unhold darbieten oder ihn erschlagen. Das Ergebnis bleibt sich gleich. Ihr und es werdet sterben. Es tut mir leid, aber ich bin unbeugsam. Tröstet Euch damit, daß Euer Hinscheiden es einen meisterlichen Philosophen möglich macht, weiterzuleben.«
»Diese Ehre ist durch nichts gerechtfertigt«, sagte Cyrion.
Den
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