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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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mir.«
    »Ich schulde Euch gar nichts. Betrachtet es als Geschenk. Dieses eine also, das noch dazugehört. Ich denke daran, wie rasch Ihr die Symbole gedeutet habt, die in den Bernstein eingraviert sind - eine Lilie war die Seele, eine Schwalbe die Freiheit, die Sonne der Himmel. Aber wie bei den meisten Symbolen der Bilderschrift, kann man sie auch genauer deuten. Die Seelen-Lilie kann auch die eigene Person bedeuten, also>Ichmich<. Die Schwalbe bedeutet nicht nur Freiheit, sondern Freiheit von Fesseln - Errettung. Was die Sonne betrifft, sie ist ein seit alters gebräuchliches Zeichen nicht nur für den Himmel, sondern auch für Gott. Also bilden die Lilie, die Schwalbe und die Sonne, wie Ihr zugeben werdet, einen Satz in Bilderschrift, den man übersetzen kann mit Gott errette mich. Ein gebräuchlicher Ausdruck in den meisten Sprachen, damals wie heute. Der König auf dem Ritt in die Schlacht flüsterte ein letztes Gebet. Der Mann auf dem stolpernden Pferd stieß einen Schreckensruf aus. Der Magier, der spürte, wie sein Haus unter den Erdstößen erbebte - wer konnte ahnen, daß er tot war, bevor die Mauern ihn unter sich begruben? Der Räuber sagte den traditionellen Spruch auf dem Weg zum Galgen. Die Frau schrie in den Wehen. Und Euer Vorfahr, der von der Mauer stürzte, war tot, bevor er den Boden berührte. Der zweite atmete schon nicht mehr, als das Wasser sich über seinem Kopf schloß. Der dritte in seinem Entsetzen über die Verfinsterung der Sonne - Gott errette mich riefen sie alle. Und der Ring tötete sie augenblicklich, wie die Gravur es verrät. Diese Worte, die von dem Träger gesprochen werden, lösen einen Mechanismus unter dem Stein aus. Eine haarfeine Nadel dringt in die Haut des Fingers. Gift strömt ein. Ein Dämonengift, so stark, daß es im Bruchteil einer Sekunde tötet. Der Opfer fällt, mit dem Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht und ohne eine sichtbare Wunde.
    Da Ihr darüber Bescheid wußtet, konntet Ihr den Ring gefahrlos tragen. Aber sollte Eurer Frau eine Katze auf den Schoß springen, würde sie unweigerlich den tödlichen Ausruf tun und augenblicklich sterben. Und ich, der anerkannte Dämonenbezwinger, sollte dieser Szene beiwohnen und Zeugnis ablegen über die Unabwendbarkeit des Schicksals.«
    »Aber Berdice ist nicht gestorben«, sagte Volf. Er wirkte erschöpft und nicht mehr wütend oder bösartig. Sein schlaffer Mund zitterte, und statt Krokodilstränen für seine Frau vergoß er jetzt echte Tränen für sich selbst.
    »Zum Glück für die Dame«, meinte Cyrion, »erhielt sie heute Nachmittag Besuch von einer Zauberin, die sie dazu überredete, zwei Amulette zu tragen. Diese.« Er deutete auf die seidenen Handschuhe, die Berdice trug und deren zarter Stoff mit dem dünnen, aber undurchdringlichen Stahl aus Daskiriom durchwoben war - den keine vergiftete Nadel durchbohren konnte, wie fein sie auch immer sein mochte.
    Berdice bewegte sich. Cyrion befreite sich behutsam von der Katze, beugte sich über das Mädchen und faßte sie an den Ellbogen. Mit einem Ruck zog er sie auf die Füße.
    »Der Schreck über die zweite Katze hat Euch geheilt«, sagte Cyrion streng. »Ihr könnt wieder gehen. Versucht es.«
    Berdice starrte ihn mit offenem Mund an und tat dann einen unsicheren Schritt.
    Sie schrie auf und versuchte einen zweiten.
    Sie schrie weiter und setzte wieder einen Fuß vor den anderen. So führte Cyrion sie aus dem Zimmer. Auf der Schwelle drückte er ihr eine purpurne Seidenschnur in die Hand, aber sie bemerkte es kaum. Volf schien sie auch vergessen zu haben, eine Vergeßlichkeit, die ihr später nur zugute kommen konnte.
    Als Cyrion in das Speisezimmer zurückkehrte, hämmerten die Wachen schon an die Tür.
    Volf war auf seinem Stuhl zusammengesunken.
    Auf den Mosaiktisch neben ihn legte Cyrion den Ring.
    »Hängen ist eine langwierige und unangenehme Angelegenheit«, murmelte Cyrion leicht angewidert.
    Als sie in das Speisezimmer stürzten, fanden die Wachen nur einen Mann und der war tot. Volf lag über dem Tisch, die Bernsteingemme an der Hand, einem entsetzten Ausdruck im Gesicht und ohne eine sichtbare Wunde.
     
     
     
Sechstes Zwischenspiel
     
    Mittlerer Tumult folgte der Geschichte des Priesters.
    Die meisten der Gäste an Roilants Tisch waren inzwischen leicht berauscht. Selbst der Gelehrte hatte sich mit
    halbgeschlossenen Augen zurückgelehnt, und um seine schön geformten Lippen spielte ein Lächeln. Der dickliche junge Mann mit dem

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