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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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die Augen. Er sagte kalt: »Vergebt mir.« Und widerstand mannhaft der Versuchung, dem Wirt den restlichen Wein ins Gesicht zu schütten.
    »Und deshalb«, fuhr der Wirt fort, ohne von dem Schicksal zu wissen, dem er entronnen war, »habe ich das Gefühl, ich sollte Euch warnen. Dieser Abenteurer ist gefährlich. Als Feind soll er schrecklich sein, habe ich gehört. Im Vertrauen gesagt -«
    »Im Vertrauen gesagt, kennt Ihr eine Geschichte, die diesen Makel deutlich macht.«
    »Nein«, überraschte ihn der Wirt. Und verdarb die Überraschung gleich wieder. »Es gibt da einen alten Mann, der bettelt, und er ist jetzt gerade an der Küchentür. Er kommt manchmal her, und ich gebe ihm etwas zu essen, weil das Glück bringt. Er ist fast blind, aber ein heller Kopf. Er hat einige Zeit bei den Nomaden gelebt und behauptet, daß ihr Blut in seinen welken Adern fließt. Wenn Ihr möchtet -«
    Roilant wollte ablehnen. Aus dem Obergeschoß perlte ein helles, sinnliches Lachen in den Gastraum. Irgendwie machte es ihn wieder munter. »Also gut. Laßt ihn hereinkommen. Ich werde bezahlen.«
    Der Wirt nickte und verschwand.
    Roilant wartete aufgeregt und ungeduldig und fuhr beinahe aus der Haut, als Schnauzbarts Schnarchkonzert einen neuen Höhepunkt erreichte. In der darauf folgenden Stille ertönte das etwas unheimliche Klopfens eines Stockes. Dann trat ein alter, hochgewachsener Mann durch den Vorhang und ertastete sich mit einem Stab den Weg. Die Kapuze seines Nomadenumhangs war tief in die Stirn gezogen, die Augen bedeckte ein dünnes Tuch. Das Gesicht war ausdruckslos, fein geschnitten und vom Alter und der Wüstensonne gezeichnet.
    Roilant hielt sich zurück, bis der alte Mann sich auf einen Stuhl niedergelassen hatte. Dann beugte er sich schwer atmend über ihn.
    »Ich habe Gold«, sagte Roilant. »Für dieses Gold verlange ich die Wahrheit. Ich sage Euch, mein Leben ist in höchster Gefahr. Der Grund, aus dem ich herkam, um. um Cyrion zu suchen, ist, daß ich ihn um jeden Preis in meinen Dienst nehmen will, um mich zu schützen. Versteht Ihr?«
    »Ich verstehe«, sagte die übertrieben alte Stimme.
    »Dann«, bellte Roilant, »hört mit dieser Maskerade auf und zeigt Euer wahres Gesicht.«
    »Dies ist mein wahres Gesicht.«
    »Nein. Das ist es nicht. Ihr seid Cyrion.«
    Der Bettler lachte. Er hatte nur wenige Zähne und das Innere seines Mundes war ebenso runzlig wie sein Gesicht und seine Hände.
    »Cyrion? So gut hat es Gott nicht mit mir gemeint. Ich bin der Vater Esurs, der sich eines Tages freikaufen und reich werden wird. Aber ich, ich wurde freigelassen und als unbrauchbar verstoßen und fand nach langer, mühsamer Suche meinen Sohn, der vor vielen Jahren in Heshbel von meiner Seite gerissen wurde. Ich bin frei und arm, er ist ein Sklave und entbehrt nichts. Aber wie soll ein Sklave seinen alten Vater unterstützen? Aus Gutherzigkeit werde ich gespeist, gesegnet sei dieses Haus. Aber ich habe niemals eine Goldmünze in der Hand gehabt -«
    Der blamierte Edelmann fühlte sich zwischen Verlegenheit, Wut und Mitleid hin und her gerissen. Zwei Goldmünzen wechselten den Besitzer. Dann setzte er sich und unterzog sich der Bestrafung, eine letzte, allerletzte Geschichte über Cyrion anhören zu müssen.
     
     
Ein Luchs unter Löwen
     
    Gegen Mittag, beinahe flachgeklopft von den Hammerschlägen der Sonne, lag die Wüste wie tot. Eine Täuschung. Eine besondere Art von Leben lauerte und gedieh dicht unter der Haut der Wüste. Samenhülsen, Scherben, vergessene Schätze, Wasseradern und Magie. Am Abend dann würde das sterbende Land sich erheben, den Tod abschütteln und sich dem kühlenden Balsam der Sterne entgegenrecken.
    Karuil-Ysem wandte den von der schwarzen Kapuze verhüllten Kopf und schien mit erhöhter Aufmerksamkeit den Worten des Kundschafters zu lauschen. Seine schwarzen Augen, alt, grausam und von erbarmungsloser Klugheit, waren halb geschlossen. So erweckte er den Eindruck Von Leblosigkeit und Ruhe - wie die Wüste; und der Eindruck war ebenso falsch.
    »Und du sagst, er folgt uns seit gestern früh?«
    »Eben dies, Karuil.«
    »Und er hat weißes Haar?«
    »Oder sehr helles. Ein Westländer. Weder aus den Städten noch von unserem eigenen Volk. Dennoch wandert er durch den Sand mit dem sicheren Schritt der Nomaden, ebenso achtlos und kundig. Er trägt ein Schwert, aber heute morgen kroch eine Viper zwischen den Steinen hervor, wo er schlief. Sie richtete sich auf, um ihn zu stechen, aber er kam ihr

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