Cyrion
Ysemid.« Als sie den Namen aussprach, furchten ihre bemalten Krallen den Boden.
»Du hast von einer Geschichte gesprochen. Erzähl sie mir.«
»Höre also. Es gibt eine heilige Stätte weit von hier in der Wüste, einen verfallenen Schrein. Dorthin kam er, Ysemid. Er war auf der Jagd und schien einem Wild bis zu dem Brunnen im Hof gefolgt zu sein, aber es war ihm entkommen. Statt selber auch fortzureiten, zog er sich Wasser herauf und trank. Es war Mittag. Mein Bruder schlief. Ich sah Ysemid, und seine Schönheit erweckte in mir Lust und Hunger. Ich schuf mir ein Trugbild, das mich in Lumpen zeigte, und ging zu ihm als eine Bettlerin, irgendeine Ausgestoßene, die sich in diesen Schrein geflüchtet hatte. Wir sprachen miteinander, und er bot mir zu essen an, wenn ich mit ihm liegen würde. Ich wußte, daß er nichts zu essen bei sich hatte und mich hintergehen wollte, aber ich willigte freudig ein, denn es paßte in meinen Plan. Wir legten uns in den Schatten der Mauer...« Die Dämonin zeigte wütend ihre Zähne. »Ich muß dir erklären, daß er nicht die Kleidung der Nomaden trug, die klug sind und vor uns auf der Hut. Hätte ich ihn als das erkannt, was er war, wäre ich ihm aus dem Weg gegangen. Aber er trug die Kleidung der Städter - ich hielt ihn für den Sohn irgendeines Händlers, leichte Beute. Und wenn erst die Sonne unterging und mein Bruder erwachte -«
Die scharfen Zähne knirschten aufeinander. In ihren Armen flüsterte der Leichnam, der ihren Bruder gefangenhielt, von seinem Haß.
»Ysemid hatte ein Amulett«, sagte sie. »Es war von einem Zauber umhüllt, denn ich hatte es gesehen und hielt es für nichts mehr als einen Edelstem. Ich erinnere mich, daß ich es als Spielzeug behalten wollte, wenn wir mit ihm fertig waren. Dann, als er sich auf mich legte, berührte das Ding meine Schulter und - brannte. Sofort richtete er sich auf, und dann lachte er, wie über einen großartigen Scherz. Jetzt benutzte er auch die Sprache der Nomaden. Er sagte:>Du bist genauso, wie ich es erwartet hatte. Sehr bald erfuhren wir, was er vorhatte.
Einen Tag später schlug das Volk Karuils einige Meilen von den Ruinen entfernt sein Lager auf. Eine Jagd wurde veranstaltet, und Ysemid überredete seinen Vater, mit ihm zu reiten. Als es dunkel wurde, lagerte die Jagdgesellschaft bei dem Schrein, und Ysemid führte seinen Vater in den Innenhof, unter dem Vorwand, sich mit ihm aussprechen zu wollen. Es hatte viele Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gegeben. Bei den Nomaden war die Autorität eines jeden Vaters absolut und die eines Königs unantastbar. Ysemid sehnte sich danach, wie ein Städter zu leben und mit dem Reichtum des Wüstenvolkes gewinnbringenden Handel zu treiben. Das wollte Karuil nicht erlauben, noch war anzunehmen, daß er seine Meinung je ändern würde. Ysemids Möglichkeiten waren begrenzt. Entweder er floh mit leeren Händen - das Wüstenvolk berauben hieß, das Wild in einer erbarmungslosen Jagd zu sein, an deren Ende auch auf einen Königssohn die Steinigung wartete - oder er gab nach und lebte nach der Art seiner Vorfahren, bis Karuil schließlich starb. Und Karuil zeigte nicht die mindeste Neigung, diese Welt zu verlassen. Er war stark und bei guter Gesundheit und mochte ohne weiteres noch zehn oder mehr Jahre leben. Ihn zu töten war Ysemids einzige Hoffnung, aber damit riskierte er, daß über ihn eine furchtbare Todesstrafe verhängt wurde. Selbst die, die Ysemid folgten, seine Höflinge, hätten einen Vatermord nicht hingenommen.«
Bestimmt ahnte Karuil, daß sich ein Weg gefunden hatte, das Recht zu umgehen, oder weshalb sonst hätte er nach Cyrion geschickt? Trotzdem ging er allein mit seinem Sohn in den Innenhof, und dort stach Ysemid auf ihn ein, zweimal um sicherzugehen. Und dort verlangte er von dem Dämon, der ebenso hilflos war wie seine Schwester, in den frischen Leichnam hineinzuschlüpfen. Sie hatten ihn angefleht, sagte die Dämonin, für den geplanten Betrug ein Trugbild erschaffen zu dürfen, statt diese Abscheulichkeit zu begehen. Aber Ysemid wollte davon nichts wissen. Trugbilder, die über einen zu langen Zeitraum aufrechterhalten
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