Cyrion
später schwang die Klinge in die Höhe und erstarrte, als eine Frauenstimme leise und spröde wie ein abgenagter Knochen sagte: »Nein. Tu es nicht -«
Cyrion senkte weder das Schwert noch schaute er sich um. Er blickte in die starren und jetzt entsetzten Augen, die in Karuils totem Gesicht lebten. Die Lampe hatte die Augenbrauen versengt. Wäre das Fleisch darüber noch lebendig gewesen, hätte man vielleicht eine blutunterlaufene Stelle gesehen.
Genau hinter Karuil war ein Tropfen Öl aus der Lampe gefallen und brannte schwelend. Ohne hinzuschauen, streckte Cyrion den Fuß aus und löschte die Flämmchen. Im Gesprächston bemerkte er: »Enthauptung. Eine der wenigen Todesarten, die ein Dämon wirklich fürchtet.«
»Ja«, wisperte die Stimme im Zelteingang. »Wir sind Dämonen, mein Bruder und ich. Bedenke, wenn du über uns und unsere Art Bescheid weißt, daß unsere Macht des Nachts und an dunklen Orten größer ist. Töte ihn, und du hast es mit mir zu tun.«
»Nun«, erwiderte Cyrion sanft, »es scheint, daß dein Bruder jemanden ermordet hat, den ich einigermaßen schätzte. Diesen Mann, dessen Körper er jetzt wie einen Handschuh benutzt. Vielleicht bin ich Vernunftgründen nicht zugänglich.«
»Keiner von uns, weder er noch ich, hat Karuil-Ysem getötet. Es war sein Sohn, der ihm das antat, viele Tage und viele Nächte bevor du hierher kamst. Es scheint, daß er nach dir geschickt hat, aber du kamst zu spät. Höre die Geschichte, bevor du urteilst.«
Einen Moment lang bewegte Cyrion sich nicht. Dann senkte er das Schwert. Er trat einen Schritt von dem Leichnam Karuils zurück, und stieß die Klinge in ein Kissen, hob den Dolch auf, den er hatte fallen lassen, und schob ihn in die Hülle. Erst dann blickte er zum Eingang des Zeltes.
Die junge Frau, die dort vor dem geschlossenen Vorhang stand, hatte das Zelt so lautlos betreten wie er selbst, trotz der kostbaren Ziermünzen an ihren Kleidern und der Juwelenschnüre an ihrem Gürtel. Ihr unverschleiertes Gesicht war außerordentlich schön, und wo der Schleier ihr Haar sehen ließ, hatte es die leuchtende, pfirsichgoldene Farbe, wie sie bei weiblichen Dämonen häufig vorkam. Aber ihre langen Fingernägel waren mit Goldfarbe bemalt. Es war Ysemids dritte Frau.
Der falsche Karuil versuchte zu ihr hinzukriechen. Die Frau holte zischend Atem und kniete sich nieder, um ihm zu helfen.
»Ja«, überlegte Cyrion. »Den Körper eines alten Mannes kann man dazu zwingen, sich mit der Geschmeidigkeit eines Jünglings zu bewegen, aber es hat unangenehme Folgen. Ich bin überrascht, daß so viel Gefühl in den Nerven erhalten bleibt und so viel Erinnerung in dem Gehirn. Sogar der Geschmackssinn. Für jemanden, der sich sonst ausschließlich von rohem Fleisch und Blut ernährt, müssen diese süßen Erfahrungen aus zweiter Hand überwältigend sein.«
Die Dämonin drückte den lebenden Leichnam an ihre Brust.
»Ich habe von jemandem deines Namens erzählen gehört«, sagte sie voller Widerwillen.
»Und ich habe von euch gehört«, gab er liebenswürdig zurück. »Oder vielmehr von eurer Art.«
»Ja. Die Nomaden kennen uns und glauben an unsere Magie.«
»Und ich wurde von Nomaden erzogen.«
»Du wußtest es sofort.«
»Nicht sofort.« Cyrion schien durch sie hindurch ins Leere zu blicken. Aber sie beging nicht den Fehler, ihn für unachtsam zu halten. »Ich vermutete es. Nur ein Dämon, sagt man, hat die Macht, in einen toten Körper zu schlüpfen und zu machen, daß er sich bewegt.«
»Sein eigenes Volk glaubt, daß Karuil lebt.«
»Wenn er sie umarmt, müßten sie bemerken, daß sein Herz nicht schlägt.«
»Das hat dich aufmerksam gemacht?«
»Das, und andere Dinge. Das geliehene Hirn machte deinem Bruder die Erinnerung zugänglich, daß ich für Karuil-Ysem einst wie ein Sohn war, aber diese Erinnerung erstreckte sich nicht auf die genauen Umstände. Sein Wissen war lückenhaft. Das hat mich gewarnt. Es gab noch anderes. Zum Beispiel machte Karuil sich nichts aus Zucker und nur wenig aus Wein. Mit dem Alter mochte er solche Gelüste entwickelt haben. Aber diese Dinge von dem Mann anzunehmen, dem er am meisten mißtraute? Der Vater seines Volkes wäre nicht ein solcher Tölpel gewesen.«
»Du hast Karuil geliebt und willst Rache«, sagte die Frau und blickte durch den Schleier ihrer rosiggoldenen Haare auf Cyrion.
»So? Meinst du?«
Sie sagte: »Deine Rache und die unsere könnten Hand in Hand gehen. Er hat Sklaven aus uns gemacht, dieser
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